Abschlussbericht zu Fällen sexuellen Missbrauchs bei Jesuiten

Eine bittere Wahrheit

Schlag Zwölf war es, und irgendwie auch High Noon für die Jesuiten. Hoch über dem Münchner Marienplatz stellte am Donnerstag die vom Orden beauftragte Berliner Anwältin Ursula Raue nach vier Monaten ihren Abschlussbericht über Fälle sexuellen Missbrauchs an Schulen und anderen Einrichtungen des Jesuitenordens vor.

Autor/in:
Barbara Just
 (DR)

Eine "bitter Wahrheit", wie es Provinzial Stefan Dartmann nannte, hatte sie auf 26 Seiten aufgelistet. Seit vier Monaten sind Meldungen von 205 mutmaßlichen Opfern eingegangen. Dazu gab es weitere 50, die sich auf andere - meist katholische, aber nicht jesuitische - Einrichtungen bezogen.

Wer jedoch meint, damit sei alles erledigt, täuscht sich. "Wir können nicht davon ausgehen, alles gehört zu haben", betonte Raue. Noch immer meldeten sich Leute bei ihr, und für solche mutmaßlichen Opfer müssten Angebote erhalten bleiben. Dabei sei nichts wichtiger, als den Betroffenen Glauben zu schenken und ihnen individuelle Fürsorge angedeihen zu lassen. Dazu gehörten Einzelgespräche genauso wie der Ersatz von Therapiekosten.

Rückmeldungen gibt es. So konnte die Anwältin von 18 Personen berichten, die eine Therapie wünschten. Drei hätten auch den verlangten Kostenanschlag geliefert, die Verfahren liefen. Bei pauschalen finanziellen Entschädigungen sind die Jesuiten noch zögerlich, auch wenn Dartmann persönlich gut verstehen kann, dass manche den Orden "bluten sehen" wollten. Hierzu möchte der Orden dem Ergebnis des Runden Tisches der Bundesregierung nicht vorgreifen.

"Mea culpa" der Jesuiten
Unumwunden räumt der Jesuit ein, dass in den vergangenen Monaten ein "Skandal" deutlich geworden sei, dessen Umfang im Januar kaum zu erahnen gewesen sei. Damals war der Rektor des Berliner Canisiuskollegs, Klaus Mertes, an die Öffentlichkeit gegangen und hatte von sexuellen und gewalttätigen Übergriffen von Mitbrüdern in der Schule berichtet. Inzwischen ist klar, dass solches auch in Sankt Blasien, im Aloisius-Kolleg in Bonn, in der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg sowie in Jugendeinrichtungen des Ordens in Hannover und Göttingen und im heute nicht mehr von Jesuiten geleiteten Immaculata Kolleg in Büren passierten.

Die Untersuchungen erstrecken sich laut Bericht auf 12 Patres, von denen 6 gestorben sind, sowie 2 weitere Personen. Ihnen wird von mehreren Personen Missbrauch oder grobe Gewalttätigkeit oder beides oder auch Mitwissen vorgeworfen. Dazu kommen 32 Patres oder weltliche Lehrer und Erzieher des Ordens, die bisher von jeweils nur einem Opfer genannt wurden. Raue hielt den Jesuiten vor, die Vorfälle über Jahre systematisch vertuscht und verdeckt zu haben.

Das "Mea culpa" von Dartmann folgte prompt. Seine ansonsten feste Stimme stockte dabei etwas, als er bekannte: "Im Namen des Ordens anerkenne ich mit Scham die Schuld und das Versagen des Ordens." Zugleich dankte er erneut den Opfern, die ihr Schweigen gebrochen hätten, und bat sie um Entschuldigung. Die Opferperspektive hätten sich die Jesuiten über all die Jahre nicht zu eigen gemacht, räumte Dartmann ein. Als Provinzial erwarte er aber auch, dass die damals in Verantwortung gestanden Mitbrüder ihrerseits zu den vorliegenden Fakten Stellung bezögen.

Raue legte den Finger weiter in die Wunde. So verläuft etwa die Aufklärung am Bonner Aloisiuskolleg nicht in der gewünschten Form. Nötig seien deshalb eine weitere Untersuchung, die von einem neuen externen Team geleistet werden solle. Dabei räumte die Anwältin ein, anfangs selbst Fehler gemacht und Beweismittel vernichtet zu haben. Indes müssen die noch lebenden Täter auch mit innerkirchlichen Disziplinarmaßnahmen rechnen, über die der Vatikan entscheidet.