Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs stärkt Patientenverfügungen

Sterbehilfe wird "erleichtert"

Der Bundesgerichtshof hat die passive Sterbehilfe erleichtert. Ein Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens sei nicht strafbar, entschied der BGH am Freitag in Karlsruhe. Der BGH hob die Verurteilung des Medizinrechtlers Wolfgang Putz wegen versuchten Totschlags auf und sprach ihn frei.

 (DR)

Die Behandlung von unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten darf jederzeit abgebrochen werden, wenn der Patient dies in einer zuvor geäußerten Verfügung veranlasst hat. Dieser Behandlungsabbruch entspreche keiner Tötung auf Verlangen und sei eine Form der zulässigen passiven Sterbehilfe, heißt es in einem am Freitag in Karlsruhe veröffentlichten Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes (BGH).

Der aktuelle Fall
Die 77-jährige Erika K. lag nach einer Hirnblutung im Wachkoma und wurde fast viereinhalb Jahre bis zu ihrem Tod in einer Senioren-Residenz im hessischen Bad Hersfeld gepflegt und künstlich ernährt. Reden oder gar Wünsche äußern konnte Erika K. wegen ihrer Erkrankung nicht mehr.

Im gesunden Zustand hatte die Frau aber ihren zwei Kindern mündlich mitgeteilt, dass sie bei einer schweren Krankheit nicht über Jahre künstlich am Leben erhalten werden wolle. Lebenserhaltende Maßnahmen sollten dann beendet werden, damit sie in Würde sterben könne.

Im Pflegeheim wurde der Wunsch von Erika K. zunächst nicht erfüllt. Als schließlich ihr Mann starb, setzten die Kinder alles daran, dass das Pflegeheim den Sterbewunsch ihrer Mutter möglich macht. Eine Besserung des Gesundheitszustandes der im Wachkoma liegenden Mutter war nicht mehr zu erwarten.

Im Streit mit dem Heim ließen sich die Kinder von Rechtsanwalt Putz vertreten. Schließlich stimmte das Heim einem Ende der künstlichen Ernährung zu. Als diese abgestellt war, machte die Heimleitung allerdings einen Rückzieher und wollte die künstliche Ernährung wieder aufnehmen. Putz riet daraufhin den Kindern, die Magensonde direkt oberhalb der Bauchdecke abzuschneiden, damit Erika K. sterben könne. Nach dem Durchtrennen des Schlauchs verständigte das Heim die Polizei, kurze Zeit später verstarb die 77-Jährige.

Das Landgericht Fulda verurteilte daraufhin den Anwalt am 30. April 2009 wegen aktiver Sterbehilfe zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 20.000 Euro. Zurecht, wenn es nach Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz-Stiftung geht. "Solche Wild-West-Methoden dürfen wir nicht zulassen. Patienten im Wachkoma sind keine Sterbenden", so Brysch. Vielmehr hätten Schwerstkranke ein Recht auf umfassende Versorgung und Pflege.

Anwalt Putz sieht dies im vorliegenden Fall anders. Mit dem Durchschneiden der Magensonde und dem Beenden der medizinischen Behandlung habe man den Patientenwillen umsetzen wollen. Er wirft dem Pflegepersonal vor, sich der Körperverletzung schuldig gemacht zu haben. Es habe Erika K. gegen ihren Willen künstlich ernährt.

Sowohl der Anwalt als auch der Generalstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof hatten bei der Gerichtsverhandlung am 2. Juni in Karlsruhe Freispruch gefordert. Beide betonten, dass nur der Patientenwille umgesetzt worden sei und es sich nicht um eine versuchte Tötung und aktive Sterbehilfe gehandelt habe.