Erzbischof Schick sieht Kirche in der Pflicht zu Friedensarbeit

"Auschwitz ist ein heilsamer Schock"

Im polnischen Auschwitz setzen sich auf Einladung der Maximilian-Kolbe-Stiftung kirchliche Vertreter aus verschiedenen europäischen Nationen mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz auseinander. Unter ihnen ist der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick. Im Interview betont Schick, dass er die Kirche in der Pflicht sieht, Lobbyarbeit für den Frieden zu leisten.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof Schick, welche Rolle spielt die Kirche, wenn es um den Umgang mit Gewalterfahrungen geht?
Schick: Die Kirche kann wichtige Elemente in diesen Versöhnungs- und Friedensprozess einbringen. Wir können darauf hinweisen, dass der Mensch, der einen freien Willen hat, Verursacher von Gewalt ist und deshalb auch Verursacher von Gerechtigkeit und Versöhnung sein kann. Wir sind zum Frieden geschaffen und können und sollten uns immer wieder versöhnen. Alle Menschen haben die gleiche Würde, weil sie der eine Gott geschaffen hat und liebt.

KNA: Wie kann die Kirche sich für den Frieden auf der Welt einsetzen?

Schick: Die katholische Kirche ist weltumspannend und hat Kontakte zu allen Bischöfen und Bischofskonferenzen. Dadurch kann sie Räume schaffen, um Menschen zusammenzuführen und zur Versöhnung zu bewegen. Genauso wichtig ist es für die Kirche aber auch, Lobbyarbeit zu leisten. Wir müssen versuchen, mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, damit der Friede auf allen Ebenen vorangebracht wird. Die Kirche ist ein Part, aber nicht das Ganze. Sie muss die anderen, die für Versöhnungsarbeit wichtig sind, mit ins Boot holen und ermahnen, damit auch sie ihre Aufgabe erfüllen. Hier kann und will die Kirche mehr tun als bisher.

KNA: Was tut die Kirche ganz konkret für Opfer von Gewalt aber auch für Täter?

Schick: Die Kirche schafft Möglichkeiten, damit Täter und Opfer zusammenkommen können. Sie müssen einander begegnen, sich anschauen und sagen, was sie einander angetan haben. Dazu braucht es Räume und Menschen, die diese Gespräche moderieren und voranbringen. Diese Voraussetzungen will die Kirche schaffen, indem sie Theologen, Psychologen, Soziologen ausgebildet. Darüber hinaus ist Wiedergutmachung für die Opfer notwendig. Das gilt auch für kirchliche Institutionen, die schuldig geworden sind. In Deutschland ist das zum Beispiel der Fall gegenüber den Zwangsarbeitern, die während des zweiten Weltkriegs in kirchlichen Institutionen arbeiten mussten. Da hat die Kirche Wiedergutmachung geleistet.

KNA: Welche Rolle spielt die Vergangenheit von Auschwitz in diesem Zusammenhang?

Schick: Auschwitz ist ein Symbol für großes Unrecht, das Deutsche den Juden und anderen Völkern angetan haben. Auschwitz ist eine Wunde, die immer noch und immer wieder neu blutet. An dieser Wunde haben auch Christen mitgewirkt. Wir müssen Auschwitz lebendig halten, um zu zeigen, was geschehen ist, aber auch, um nach vorne zu schauen und deutlich zu machen: So etwas darf nie wieder geschehen. Deshalb ist die Gedenkstätte so wichtig. Wir sind Menschen und Menschen sind vergesslich. Es besteht immer die Gefahr, dass wir wieder schuldig werden. Deshalb kann man keinen Schlussstrich ziehen. Wir brauchen solche Erinnerungen, über die wir immer wieder stolpern, damit uns bewusst wird, dass wir achtsam sein müssen.

KNA: Was können andere europäische Gesellschaften aus der Auseinandersetzung mit Auschwitz lernen?

Schick: Ich glaube, dass Auschwitz für alle ein heilsamer Schock ist, der die Einsicht vermittelt, wozu Menschen fähig sind. Das zu erkennen, schafft Aufmerksamkeit und macht hellhörig. Wenn man Auschwitz wahrnimmt, wird man aufmerksam für Neonazibewegungen oder Schriften, die Völker oder Rassen herabwürdigen. Genauso wichtig ist es aber auch, zu der Einsicht zu kommen, dass so etwas nie wieder passieren darf und aus dieser Erkenntnis heraus aktiv zu werden und sich dafür zu engagieren, dass Menschen auf der ganzen Welt einander achten. Auch heute gibt es in Afrika, Südamerika oder Australien die Verfolgung von bestimmten Völkergruppen. Wir dürfen nicht nachlassen und müssen immer wieder anmahnen: So etwas wie in Auschwitz darf nie wieder und nirgendwo geschehen.

KNA: Welche Bedeutung hat europäische Friedensarbeit, wie sie die Maximilian-Kolbe-Stiftung vorantreiben will?
Schick: Die Gründung der Maximilian-Kolbe-Stiftung vor zwei Jahren war ein wichtiges Zeichen, weil hier zum ersten Mal die deutsche und die polnische Bischofskonferenz gemeinsam eine Stiftung gegründet haben, um in ganz Europa, vor allem aber auch Osteuropa, Versöhnungsarbeit zu leisten. Es ist wichtig, einzelne Vertreter aus den verschiedenen Ländern, aus der Ukraine, aus Polen, Bosnien-Herzegowina anzusprechen und mit ihnen gemeinsam zu überlegen, wie die Friedensarbeit weitergehen kann. Diese einzelnen Menschen nehmen ihre Eindrücke und Ideen dann mit in ihre Heimatländer und verbreiten sie. Ich glaube, dadurch entstehen gute Aussichten dafür, dass im europäischen Versöhnungsprozess wirklich etwas vorangehen kann.

Interview: Inga Kilian