Misereor-Experte Bernd Bornhorst weist die Kritik der CDU zurück

"Mythos industrialisierte Landwirtschaft"

Im Streit um die Ausrichtung der Entwicklungshilfe weist Misereor die Kritik von CDU-Welternährungsexperte Johannes Röring zurück. "Es gehe um wirksame Hungerbekämpfung", sagt Bernd Bornhorst, Leiter der Abteilung Entwicklungspolitik bei dem katholischen Hilfswerk.

 (DR)

KNA: Vom CDU-Bundestagsabgeordneten Johannes Röring kommt der Vorwurf, Misereor und andere Hilfsorganisieren betrieben eine "ideologisierte Entwicklungshilfe". Der Landwirtschaft in Afrika werde der technische Fortschritt verweigert. Es gebe eine Verherrlichung der kleinbäuerlichen Struktur.

Bornhorst: Misereor geht es in erster Linie um eine wirksame Hungerbekämpfung, und ganz und gar nicht um eine Verherrlichung kleinbäuerlicher Strukturen oder eine fortschrittsfeindliche Haltung. Die Hungerbekämpfung muss dort ansetzen, wo der größte Hunger herrscht: auf dem Lande, bei den Kleinbauernfamilien. Und dort setzt unsere Zusammenarbeit an, die vieles zum Ziel hat, was Herr Röring fordert: Gründung von Bauernverbänden, Diversifizierung der Anbaustrukturen, Bau von Lagerstätten.



KNA: Wo liegt dann der Konflikt?

Bornhorst: Wir setzen die Priorität auf die Produktion für lokale und regionale Märkte und nicht auf den Export. Kein Mensch spricht sich in diesem Zusammenhang gegen Wachstum oder unternehmerisches Handeln gerade für Kleinbauern aus. Misereor kann mit zahlreichen Studien belegen, dass es bereits viele erfolgreiche Beispiele gibt, die zeigen, wie Kleinbauern durch eine nachhaltige, standortgerechte Landwirtschaft in die Lage versetzt wurden, nicht nur von der Hand in den Mund zu leben, sondern einen viel weitergehenden Beitrag zur Entwicklung ihrer Familien und Gemeinden zu leisten.



KNA: Röring meint, der Hunger lasse sich bekämpfen, in dem afrikanische Landwirte ihre Erträge steigern, etwa durch Kunstdünger und Maschinen statt Holzpflug und Ochs und Esel. Was ist falsch daran?

Bornhorst: An einer Ertragssteigerung ist gar nichts falsch. Im Gegenteil: Misereor unterstützt viele Projekte, in denen es um Optimierung und Professionalisierung der Landwirtschaft geht. Allerdings haben die letzten Jahrzehnte gezeigt, dass der Weg der industrialisierten Landwirtschaft für Kleinbauern in landwirtschaftlich prekären Lagen nicht der richtige ist. Kunstdünger ohne die Pflege des Bodens durch organisches Material führt zu einer Verringerung der Bodenstruktur. Maschinen helfen den großen Plantagen, mit wenigen Arbeitskräften große Flächen zu bewirtschaften. Aber für die Armutsbekämpfung ist eine intensive Nutzung selbst kleiner Flächen besser geeignet, vielen Menschen ein gutes Einkommen zu ermöglichen.



KNA: Wie wichtig ist dabei das Wissen der Bauern vor Ort?

Bornhorst: Misereor hat von den Erfahrungen vieler Kleinbauern in Afrika, Asien und Lateinamerika gelernt, dass sie auf Grundlage des lokalen Wissens und innovativer Ideen eine ertragssichere und nachhaltige Landwirtschaft aufbauen können. Diese sichert selbst unter extrem widrigen Bedingungen wie Dürren oder Hanglagen das Überleben der Familien. Den Bauern ist vor allem wichtig, aus der Schuldenfalle der industrialisierten Landwirtschaft zu entkommen, die sie viel Geld kostet: für Dünger und Pestizide, für jährlich neues Saatgut. Ein Jahr mit schlechten Ernten bedeutet für sie Verschuldung und vielleicht sogar Verlust des Betriebes. Mit nachhaltiger Landwirtschaft müssen sie kaum Geld investieren, haben dafür aber gesicherte Einkommen für ihre wirtschaftliche Weiterentwicklung.



KNA: Welche Folgen hätte eine industrialisierte Landwirtschaft?

Bornhorst: Eine industrialisierte Landwirtschaft bedeutet in diesem Kontext häufig eine ausschließliche Ausrichtung an Exportinteressen, Konzentration von Land, Wertschöpfungsketten in wenigen Händen und eine Missachtung der kleinbäuerlichen Interessen. Herr Röring hat unter anderem Blumenplantagen in Äthiopien und Kenia besichtigt, die ausschließlich für den Export nach Europa produziert werden und den kenianischen Bauern das Wasser aus dem Boden entziehen - diese Beispiele sollten ihm eigentlich die Augen dafür geöffnet haben. Misereor setzt sich sehr für Fortschritt und unternehmerisches Handeln ein. Aus der Perspektive der Hungerbekämpfung kommt es aber gerade darauf an, dieses gerade den Kleinbauern zu ermöglichen und nicht etwa einer ausschließlich an Gewinnmaximierung orientierten Agrarindustrie. Das hat nichts mit romantischer Verklärung der Vergangenheit zu tun, sondern ist eine sehr pragmatische Antwort auf den Hunger in der Welt.



KNA: Aber ist es nicht auch für die Kleinbauern wichtig, sich für den Markt zu rüsten? Kann eine kleinbäuerlich strukturierte Landwirtschaft denn die Welt ernähren?

Bornhorst: Es ist ein Mythos, dass industrialisierte Landwirtschaft die Welt ernährt. Wie der Weltagrarbericht, der von UN und Weltbank in Auftrag gegeben wurde, feststellt: Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft konnte die Welternährung nicht gesichert werden. Denken Sie daran, dass nach der Hungerkrise 2008 fast eine Milliarde Menschen hungern, die meisten davon Kleinbauern. Nehmen wir das Beispiel eines philippinischen Bauern, der auf einem Hektar Reis anbaut. Zum Beginn der Saison kauft er Saatgut, Dünger und Pestizide auf Pump bei seinem Reishändler. Direkt nach der Ernte, wenn der Preis niedrig ist, muss er alles an den Reishändler verkaufen, um seine Schulden zu begleichen, die Schulgebühren für die Kinder zu zahlen und so weiter. Im Lauf des Jahres muss er dann selbst Reis kaufen - auf dem lokalen Markt, und zu viel höheren Preisen.



KNA: Also ein Teufelskreis?

Bornhorst: Das ist meist die Realität der Kleinbauern. Sie haben keine fairen Chancen auf dem Markt. Sie würden deshalb dem Hunger entgehen, wenn sie wenigstens die eigene Ernährung sichern könnten. Überschüsse können sie auf dem lokalen Markt verkaufen. Und wenn eine produktivere, kostengünstigere Anbauweise ihnen dann erlaubt, immer mehr zu produzieren, können sie auch ihr Einkommen deutlich erhöhen. Dies ist eine Entwicklung, die wir bei vielen Bauern beobachten können: wie sie von hungernden, abhängigen und verschuldeten Bauern zu selbstständigen, innovativen Betriebsführern werden, stolz auf ihre Errungenschaften. Wir stimmen Herrn Röring zu: Man darf die Kleinbauern, Frauen und Männer, nicht unterschätzen.



Das Gespräch führte Volker Resing.