Polens Politiker Bartoszewski wird 90 Jahre alt

"Man muss anständig bleiben"

Über Jahrzehnte zählte Wladyslaw Bartoszewski in der Zeit der kommunistischen Diktatur zu den führenden Vertretern der "katholischen Intelligenz" und des demokratischen Widerstands in Polen. Am Sonntag wird der frühere polnische Außenminister 90 Jahre alt. Ein ruhiges Rentnerleben kommt ihm aber nicht in den Sinn.

Autor/in:
Oliver Hinz
 (DR)

Am Sonntag wird der frühere polnische Außenminister und Publizist 90 Jahre alt, aber er bleibt Staatssekretär des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. "Wenn ich nützlich sein kann, möchte ich noch weitermachen", sagt er. Seine gute Gesundheit erlaube es, dass er als Bevollmächtigter für den internationalen Dialog "acht Stunden pro Tag" für die Regierung arbeite. Trotz Gehstock - das Energiebündel lässt sich sein Alter nicht anmerken.



Über Jahrzehnte zählte Bartoszewski in der Zeit der kommunistischen Diktatur zu den führenden Vertretern der "katholischen Intelligenz" und des demokratischen Widerstands in Polen. Noch immer genießt er es, die Deutschland- und Israelpolitik Polens mit zu gestalten. Seine "Sternstunden" waren 1991 die Verleihung der Ehrenbürgerschaft des Staates Israel und 1995 seine Rede im Bundestag zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. Damals sprach er als Außenminister über die deutschen Kriegsverbrechen und wurde zum großen Brückenbauer zwischen Deutschen und Polen. Vor den Abgeordneten beklagte er das "individuelle Schicksal und die Leiden von unschuldigen Deutschen, die von den Kriegsfolgen betroffen wurden und ihre Heimat verloren". Er bekannte zudem, dass auch Deutsche Opfer von Gewalttaten wurden und "dass zu den Tätern auch Polen gehörten".



Scharfer Kritiker

Trotzdem kam es später zum Eklat mit der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach. Bartoszewski fürchtete, dass das von ihr geforderte "Zentrum gegen Vertreibungen" die Geschichte verfälschen könnte. Die Bundesrepublik dürfe den Zweiten Weltkrieg nicht auf den Holocaust und die Vertreibung der Deutschen reduzieren, mahnte er. Dann bleibe den Polen nichts anderes übrig, als in Poznan (Posen) ein Museum der deutschen Germanisierungspolitik seit den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert zu errichten, drohte Bartoszewski im Jahr 2003. Das von einer Stiftung des Bundes geplante Vertriebenenmuseum respektiert er jedoch.



Seine damalige schroffe Wortwahl ist nur ein Beispiel dafür, dass der einstige Außenminister die diplomatische Sprache schnell vergisst, wenn er eine Gefahr ausmacht. Noch schärfer griff er die Deutschlandpolitik der konservativen polnischen Regierung von Jaroslaw Kaczynski an. Deren Außenministerin Anna Fotyga, befand er, sei reif für die Psychiatrie.



Geboren wurde Bartoszewski 1922 in Warschau als Sohn eines Bankdirektors. Mit 18 Jahren erlebte er die Schrecken der deutschen Okkupation am eigenen Leib. Als einer der ersten polnischen Häftlinge brachten ihn die Nationalsozialisten 1940 ins Konzentrationslager Auschwitz. Im Frühjahr 1941 schwer krank entlassen, begann er im Untergrund sein Studium. Ab 1942 arbeitete er bei einer katholischen Gruppe mit, die sich für verfolgte Juden einsetzte. 1944 nahm Bartoszewski am Warschauer Aufstand teil.



"Ich bin Optimist, kein Pessimist"

"Im Endeffekt hat der Herrgott gewollt, dass ich überlebe", sagt er. Als Historiker sammelte er Beweise für Kriegsverbrechen. Zu den Akten des Nürnberger NS-Kriegsverbrecher-Prozesses gehört eine von ihm verfasste Auflistung von öffentlichen Hinrichtungen in Warschau. Wegen seiner Lebensleistung genießt Bartoszewski in Polen eine nahezu beispiellos hohe Autorität. Zu seinem Geburtstag veranstaltet Staatspräsident Bronislaw Komorowski einen Empfang im Warschauer Königsschloss.



"Ich bin Optimist, kein Pessimist", betont Bartoszewski. Er glaube immer daran, dass das Gute siegen werde. "Meine Devise ist: Man muss anständig bleiben, und das auch von den anderen erwarten." Zu seinem Geburtstag wünscht er sich: "Weiter so viel Möglichkeiten, aktiv zu bleiben." Und fügt lachend hinzu: "Meine Feinde haben nichts Besseres verdient als meine gute Gesundheit.