Auch vor Joachim Gauck drängten Pfarrer in die Politik

Vom Pfarrhaus ins Bellevue

Der designierte nächste Bundespräsident Joachim Gauck kam während der friedlichen Revolution in der DDR als Pfarrer in die Politik. Ähnliche Karrieren gab es viele, auch in der früheren deutschen Geschichte.

Autor/in:
Rainer Clos
 (DR)

Mit der zu erwartenden Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten dürfte erstmals ein Theologe das höchste Staatsamt übernehmen. Einen Kleriker als Staatspräsidenten kennt sonst nur noch das südamerikanische Paraguay. Dort ist seit 2008 Fernando Lugo, ein ehemaliger katholischer Bischof, Staatsoberhaupt.



Vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss über Gustav Heinemann, Karl Carstens, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Johannes Rau bis zu Horst Köhler waren die Staatsoberhäupter der Bundesrepublik aber alle erkennbar christlich, meist protestantisch geprägt. Ähnliches trifft für die Bundeskanzler zu: Deren Liste reicht vom rheinisch-katholischen Gründungskanzler Konrad Adenauer über den hanseatischen Lutheraner Helmut Schmidt und pfälzischen Katholiken Helmut Kohl bis zur ostdeutschen Pastorentochter Angela Merkel.



Doch Geistliche in leitenden politischen Ämtern blieben zunächst die Ausnahme: Der evangelische Theologe Eugen Gerstenmaier, der für die CDU seit 1949 dem Bundestag angehörte, wurde 1954 zum Parlamentspräsidenten gewählt. Dieses herausgehobene Amt hatte Gerstenmaier, der zum Kreisauer Kreis des nationalsozialistischen Widerstandes gehörte, bis zur Bildung der sozial-liberalen Koalition 1969 inne.



Die evangelische Pastorin Antje Vollmer, eine Wortführerin der ersten Generation der Grünen im Bundestag, war von 1994 bis 2005 Vizepräsidentin des Parlaments. Vereinzelt gab es auch in den Reihen der SPD-Fraktion Theologen, wie etwa die beiden pfälzischen Pfarrer Rudolf Kaffka und Horst Sielaf sowie Udo Fiebig aus dem westfälischen Lünen.



Kirche als einziger demokratischer Sektor in der DDR

Dass es mittlerweile neben Juristen, Lehrern, Beamten und Landwirten unter den Volksvertretern mehr Pfarrer gibt, ist vor allem ein Ergebnis der friedlichen Revolution in der DDR. An den Runden Tischen und in der ersten frei gewählten Volkskammer spielten ostdeutsche Pfarrer eine herausgehobene Rolle. "Die Kirche war der einzige demokratische Sektor in der DDR", erklärt der SPD-Politiker und profilierte Kirchenmann Jürgen Schmude das politische Engagement evangelischer Christen.



Im ersten gesamtdeutschen Bundestag saßen zwölf Theologen, darunter acht aus den neuen Ländern. Richard Schröder, Markus Meckel, Christel Hanewinckel, Edelbert Richter, Rainer Eppelmann, Michael Stübgen und Wolfgang Ullmann gehörten zu den evangelischen Pfarrern, die in die Politik wechselten und sich in CDU, SPD oder bei den Bündnisgrünen engagierten. Inzwischen finden sich selbst unter den Mandatsträgern von Linkspartei und Freidemokraten Pfarrer. Jürgen Klute zog für die Linkspartei ins EU-Parlament, Pascal Kober sitzt für die FDP im Bundestag.



Seit 22 Jahren ist Peter Hintze Bundestagsmitglied. Der CDU-Politiker war vor seiner politischen Karriere Pfarrer in Königswinter bei Bonn. Wie kein anderer Kollege aus dem geistlichen Stand sah sich Hintze immer wieder dem Spott politischer Gegner ausgesetzt, die ihn mit polemischem Unterton als "Pfarrer Hintze" titulieren - obwohl er schon vor Jahrzehnten aus dem Pfarrdienst ausgeschieden ist.



Katholische Geistliche dürfen nicht

Auch in der Landespolitik machen ehemalige Pastoren Karriere: Der SPD-Politiker Steffen Reiche war über zehn Jahre Minister des Landes Brandenburg. Christine Lieberknecht von der CDU hatte in der thüringischen Landespolitik verschiedene Posten inne, bevor sie 2009 Ministerpräsidentin wurde. Der jüngste Wechsel eines Pfarrers in die Politik liegt ein Jahr zurück; Der Beauftragte der evangelischen Kirche in der Lutherstadt Wittenberg, Stephan Dorgerloh, übernahm in Sachsen-Anhalt das Kulturressort.



Politisierende Geistliche, die politische Mandate übernehmen, haben in Deutschland eine lange Tradition: In der Paulskirchenversammlung von 1848, dem ersten frei gewählten Parlament, saßen elf evangelische Pastoren - überwiegend im national-konservativen Lager. An der Spitze der katholischen Zentrumsfraktion im Reichstag der Weimarer Republik stand der Prälat Ludwig Kaas. Zu den führenden politischen Köpfen der Weimarer Republik gehörte der linksliberale Abgeordnete und Pfarrer Friedrich Naumann.



Katholische Geistliche bleiben der Politik indes fern. Ihnen ist es nach dem Gesetzbuch der katholischen Kirche ausdrücklich untersagt, "öffentliche Ämter anzunehmen, die eine Teilhabe an der weltlichen Gewalt mit sich bringen".