Der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" betonte Thierse (SPD) angesichts der für Sonntag erwarteten Wahl des evangelischen Theologen Joachim Gauck zum Bundespräsidenten und einer künftigen protestantischen Doppelspitze mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) allerdings, er halte die Frage nach den Konfessionen "für hoffnungslos überbewertet". Der SPD-Politiker sieht die katholische Kirche im Konflikt mit einem in der Politik geforderten Pragmatismus. In der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) etwa habe die evangelische Kirche drei verschiedene Ansichten vertreten: "Da kann sich jeder Politiker bedienen. Die katholische Kirche war eindeutiger." Und sie stehe generell im Verdacht des Gestrigen. "Sie passt nicht. Sie ist lästig.
Das zeitgeistige Vorurteil gegenüber Katholiken zeigt auch in der Politik Wirkung", sagte Thierse dem am Donnerstagabend veröffentlichten Beitrag zufolge.
Der katholische CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" mit Blick auf Merkel und Gauck: "Ich bin grundsätzlich für ein ausgewogenes Verhältnis der Konfessionen, damit sich alle repräsentiert fühlen." Er würde das aber niemals zu einem Maßstab erheben. Der Sprecher der Christsozialen Katholiken, Thomas Goppel, stört sich nicht daran, dass der nächste Bundespräsident ein Protestant sein wird. Dieses Amt sei schließlich kein kirchliches, so Sprecher Thomas Goppel im Münchner Kirchenradio. Vielmehr brauche man als Bundespräsident Überzeugungskraft, Redefähigkeit und Qualitäten im persönlichen Präsentsein. "Die hat Joachim Gauck", betonte der frühere bayerische Kultusminister. Die Katholiken in der CSU wollten nach den Diskussionen um den zurückgetretenen Präsidenten Christian Wulff endlich wieder Ruhe im Land. Beate Klarsfeld sei zudem für Katholiken keine Alternative zu Gauck. Goppel räumte allerdings ein, dass Gauck als bekennender Protestant "ein Stück anders sei "als wir uns den Alltag und seine Gestaltung vorstellen". Damit werde Politik in Deutschland durchaus ein Stück protestantischer werden, "was kein Schaden zu sein braucht", so Goppel weiter. Insgesamt sei es notwendig, wieder nachhaltiger am politischen Katholizismus zu arbeiten, "um mit der Marke in der Welt zu reüssieren". Thomas Goppel ist Mitglied der 15. Bundesversammlung, die am kommenden Sonntag im Berliner Reichstag den nächsten Bundespräsidenten wählt.
Wissenschaftler: Katholiken geht politisches Personal aus
Nach Einschätzung des Bonner Politikwissenschaftlers Gerd Langguth hat die katholische Kirche zunehmend Schwierigkeiten, in der Politik Gehör zu finden. "Fast 500 Jahre nach der Reformation und den 95 Thesen Martin Luthers rangiert der politische Katholizismus nur noch unter ferner liefen", schreibt Langguth in einem Beitrag für "Spiegel online". Während sich an der Spitze des Staates und der CDU vor allem Protestanten fänden, gehe den Katholiken das politische Personal aus.
Als Gründe nennt Langguth die wachsende Säkularisierung und damit auch eine Schwächung der katholischen Organisationen, aus denen sich früher der Nachwuchs von CDU und CSU rekrutiert habe. "Der säkularisierte Mensch kommt eher mit evangelischen Politikern klar, weil der Protestantismus auf die Verantwortung des Individuums und damit auf die persönliche Freiheit setzt, während im Katholizismus der Gedanke des katholischen Kollektivs und einer besonderen Verantwortung gegenüber der katholischen Kirche leitend ist", so der Politikwissenschaftler. Nach seiner Einschätzung findet sich in der "operativen Funktionselite der CDU heute eine klare protestantische Mehrheit". In der früher "katholischen" Partei CDU seien die Vorsitzende, der Generalsekretär und der Fraktionsvorsitzende evangelisch.
Nach Meinung des Wissenschaftlers tun sich zugleich katholische Politiker in der Union im Unterschied zu früheren Jahrzehnten zunehmend schwer, ihren Katholizismus zu betonen. "Und die Ultramontanisten, die ihre politischen Entscheidungen in Rom absegnen lassen, sind fast völlig verschwunden und können ihre Haltung, wenn überhaupt, nur noch im Geheimen ausüben."
Thierse sieht katholische Kirche im Politik-Betrieb im Hintertreffen
Wenn Gutes zum Nachteil gereicht
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sieht die katholische Kirche im politischen Betrieb im Nachteil. "Die evangelische Kirche erweist sich in vielen Fragen als geschmeidiger, während die katholische Kirche eine strengere Verbindlichkeit auch in moralischen Fragen artikuliert", sagte Thierse, der dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken angehört.
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