domradio.de: Wie kommt es zu dieser Entwicklung, dass sich offenbar immer weniger Frauen zu einem Abbruch entscheiden?
Florian: Einmal ist das der demografische Faktor. Es gibt immer weniger Frauen, die im gebärfähigen Alter sind, die überhaupt Kinder bekommen können, die Zahlen sinken. Zum anderen ist das sicherlich auch begründet in der Aufklärung und in der Information über Empfängnisverhütung, die ja heute doch relativ breit ist.
domradio.de: Trotz der guten Nachricht, dass weniger Abtreibungen vorgenommen werden, wurden zwischen Juli und September rund 25.500 Abtreibungen in Deutschland vorgenommen. Woran liegt das?
Florian: Gleichzeitig mit der guten Aufklärung und mit der guten Information, die überall zur Verfügung steht, gibt es oft ein erschreckendes Nichtwissen, gerade bei bildungsfernen Frauen. Es ist vielleicht nicht so leicht, seinen eigenen Körper zu kennen, seine eigene Fruchtbarkeit zu erleben, es ist vielleicht etwas zu kompliziert für manche Frauen und wenn dann Gefühle dazu kommen, schaltet man das aus.
domradio.de: Heißt das, es müsste noch mehr Aufklärung geben?
Florian: Ich glaube, da kann man nie genug tun. Esperanza ist ja sehr häufig in Schulen gefragt, von der 5. Klasse an bis in die berufsbildenden Schulen oder in Freizeitgruppen, in Firmgruppen, in Gemeinden. Ich glaube, da kann man nie zu viel tun. Die Fragen der Mädchen und auch der Jungen zeigen das.
domradio.de: Knapp drei Viertel (74 Prozent) der Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen ließen, waren zwischen 18 und 34 Jahren alt. Warum sehen gerade junge Frauen keinen Ausweg?
Florian: In den jungen Jahren ist eine Schwangerschaft besonders belastend. Die Partnerschaft ist noch nicht gefestigt, vielleicht überhaupt nicht da. Die Berufsausbildung ist noch nicht zu Ende und man ist noch nicht gefestigt in dieser Zeit und da ist eine Schwangerschaft etwas, was einen sehr aus der Bahn wirft. Anders als wenn man über 30 ist und weiß, wo man hin will und was man vielleicht auch außerplanmäßig schaffen kann.
domradio.de: Welche Nöte haben Frauen, die zu Ihnen in die Katholische Beratungsstelle Esperanza kommen?
Florian: Die meisten Frauen, die zu uns kommen, haben existenzielle finanzielle Sorgen. Ich denke da an ausländische Studentinnen, die ihr Studium hier in Deutschland finanzieren müssen durch Nebenarbeiten, die dann ausfallen. Die Frauen haben dann kein Einkommen mehr hier, sind oft nicht krankenversichert, nach Hause können sie auch oft nicht, weil das kulturell nicht möglich ist. Wir versuchen dann erst einmal das Existenzminimum sicherzustellen und gucken dann welche Perspektiven für die Frau und für das Kind überhaupt zu entwickeln sind.
domradio.de: Wie sieht überhaupt so eine Beratung aus, was können Sie außer einer finanziellen Unterstützung auch beisteuern?
Florian: Es geht um die Stabilisierung, um die psychische Stabilisierung der Frauen, die ja in dieser Krisensituation stecken, wo ihnen oft der Boden unter den Füßen wegbricht und da helfen Gespräche und es hilft die Suche nach Ressourcen, die die Frauen selbst haben. Das ist oft mehr als man sich in der ersten Panik vorstellen kann, aber vorallen Dingen eben tatkräftige Hilfe, die über die Beratungsstelle vermittelt werden kann mit Ehrenamtlichen in anderen Beratungsstellen, Mutter-Kind-Einrichtungen, Kindertagesbetreuungen.
domradio.de: Gibt es denn aus Ihrer langjährigen Erfahrung bei Esperanza, Frauen, die Sie von der Entscheidung zur Abtreibung noch abbringen können? Die katholische Beratungsstelle Esperanza darf ja keine Bescheinigung über eine Beratung ausstellen, mit der die Frau dann zum Arzt gehen und den Abbruch vornehmen lassen kann.
Florian: Das ist das Dilemma, zu uns kommen eigentlich in der Regel, die Frauen, die das Kind bekommen wollen, aber nicht so ganz genau wissen, wie das gehen kann. Es kommen in der Regel nicht mehr die Frauen, die diese Schwangerschaft abbrechen wollen, die haben wir verloren, dadurch, dass wir die Bescheinigung nicht mehr ausstellen können. In der letzten Zeit haben wir über die Online-Beratung einen etwas höheren Prozentsatz dieser sogenannten Konfliktberatungen, aber da wir das nicht bescheinigen können, ist das eigentlich obsolet.
domradio.de: Und wenn Sie dann doch einmal eine Konfliktberatung haben, gibt es dann doch Schwangere, die sich nach den Gesprächen mit Ihnen umstimmen lassen und das Kind behalten wollen?
Florian: Die gibt es auf jeden Fall. Es kommen schon mal Schwangere zu uns, die einen Beratungsschein aus einer anderen Beratungsstelle in der Tasche haben, sich aber trotzdem nicht sicher sind und die dann durch die Gespräche bei uns doch darin bestätigt werden, das Kind zu behalten.
Das Interview führte Matthias Friebe