Bülent Ucar zu Avicenna

"Schritt zu mehr Chancengleichheit"

Der Vorsitzende des Avicenna-Studienwerks, Bülent Ucar, erläuterte im Interview die Ziele der Initiative. Der 36-Jährige ist Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück.

Bülent Ucar (dpa)
Bülent Ucar / ( dpa )

KNA: Herr Ucar, an wen richtet sich das Begabtenförderungswerk?

Ucar: Das Begabtenförderungswerk richtet sich an besonders begabte muslimische Studierende und Promovenden aller Fachrichtungen. Sie sollen durch ein ideelles Programm und materielle Hilfeleistungen in Form eines Stipendiums unterstützt werden. Die Auswahlkriterien ähneln dabei den Kriterien der anderen Begabtenförderungswerke in Deutschland.

KNA: Was heißt das?

Ucar: Wir orientieren uns an den vorgegebenen staatlichen Richtlinien des Bundesbildungsministeriums. Hierzu zählt auch, dass sich die Stipendiaten sozial engagieren sollen. Der Unterschied zu den anderen Begabtenförderungswerken ist lediglich der, dass die Bewerber für die Avicenna-Stiftung bekennende Muslime sein müssen. So, wie das Cusanuswerk katholische Studierende, das Evangelische Studienwerk Villigst evangelische Studierende oder das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk jüdische Studierende anspricht.

KNA: Welche Stellenwert hat die Initiative in der deutschen Bildungslandschaft?

Ucar: Es geht hier primär um Partizipation. Integrations- wie bildungspolitisch stellt der Aufbau des muslimischen Begabtenförderungswerks einen großen Schritt dar, um eine Chancengleichheit für Muslime im Bildungssektor zu erzielen. Unser Anliegen unterstützen übrigens auch nichtmuslimische Interessenten.

KNA: Wofür steht Namensgeber Avicenna?

Ucar: Avicenna ist der latinisierte Name für den berühmten muslimischen Universalgelehrten Ibn Sina, der im 11. Jahrhundert lebte. Für seine Schriften in Mathematik, Philosophie, Astronomie und sogar in der Musiktheorie wird er sowohl im Orient als auch im Okzident gleichermaßen geschätzt. Seine bedeutendste Abhandlung «Qanun at-Tib» («Kanon der Medizin») galt über Jahrhunderte als Standardwerk auch an europäischen Universitäten.

KNA: Ein Mann mit weitem Horizont.

Ucar: Avicenna verkörpert genau das, was die Wissenschaft allgemein antreibt - oder antreiben sollte: über alle Grenzen hinweg für den Fortschritt und das Allgemeinwohl der Menschheit zu arbeiten. Zugleich steht Avicenna für den gegenseitigen Austausch zwischen islamischer und christlich-abendländischer Kultur im Mittelalter. Wie sagte Goethe: "Wer sich selbst und andere kennt, Wird auch hier

erkennen: Orient und Okzident Sind nicht mehr zu trennen."

KNA: Wie war das Echo in der Politik?

Ucar: Wir mussten viele Gespräche führen. Über alle politischen Parteien hinweg gab es aber von Beginn an eine positive Resonanz und viel Unterstützung. Das zeigt uns: Wir haben mit diesem Projekt einen Nerv getroffen.

KNA: Wie meinen Sie das?

Ucar: Die Gründung des Begabtenförderungswerks zähle ich zu den größten integrationspolitischen Leistungen der deutschen Politik in den vergangenen Jahren. Denn Integration verläuft über Bildung. Die muslimischen Studierenden, die wir fördern, werden nicht nur einen Beitrag für die wissenschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung leisten, sondern zugleich eine wichtige Vorbildfunktion für andere muslimische Kinder und Jugendliche einnehmen.

KNA: Wie und wo wollen Sie für das Förderwerk werben?

Ucar: Wir werden alle Kanäle nutzen, die uns zur Verfügung stehen: Vom Internet bis hin zu Einzelberatung. Wir wollen auch frühzeitig an Eltern herantreten und auf das Projekt aufmerksam machen. Dafür stehen uns auch die Türen in den über 2.000 Moscheegemeinden Deutschlands offen.

KNA: Wo sehen Sie die Stiftung in fünf Jahren?

Ucar: Ich sehe die Avicenna-Stiftung in fünf Jahren als das strukturell dauerhaft etablierte, dreizehnte Begabtenförderungswerk in Deutschland. In fünf Jahren werden wir auch zahlreiche begabte muslimische Studierende und Promovierende bereits gefördert haben, die wiederum eine soziale Verantwortung für diese Gesellschaft übernehmen sollen.

KNA: Und wenn sich die Stipendiaten für eine Karriere im Ausland entscheiden?

Ucar: ...wäre das legitim, ist aber nicht unser Hauptinteresse. Wir möchten natürlich, dass die von uns geförderten Studenten sowie Nachwuchswissenschaftler dauerhaft in Deutschland bleiben. Einen «Brain Drain» wollen wir grundsätzlich nicht unterstützen.

Das Gespräch führte Joachim Heinz.


Quelle:
KNA