Neudeck: Christen in Syrien müssen vernünftigen Kurs einschlagen

"Es gibt ein Leben nach Assad"

Syrische Christen sollten sich jetzt einen Zugang zur säkularen Opposition verschaffen, rät der Menschenrechtler Rupert Neudeck. Über seine Erfahrungen in Syrien hat der Grünhelm-Chef ein Buch veröffentlicht "Es gibt ein Leben nach Assad".

 (DR)

domradio.de: Welchen Eindruck hatten Sie von der syrischen Opposition?

Rupert Neudeck: Die Opposition ist eine Rebellion, meist von jungen Leuten und man muss sie sehr ernst nehmen. Sie fügt sich ein in die große arabische Revolte, die immer von jungen Kräften geleitet wird und von jungen Kräften inspiriert wird, die meistens mit dem, was die Eltern und die Älteren vorhaben, gar nicht mehr viel am Hut haben. Man muss sie auch ernst nehmen, wenn sie nicht gleich Erfolg hat, wenn sie nicht gleich zu einem großen Umsturz der Staats- und Gesellschaftsverhältnisse führt.

Diese Opposition ist aber in eine große Schwierigkeit dadurch gekommen, dass seit einigen Monaten vermehrt durch Mudschaheddin aus verschiedenen Ländern außerhalb Syriens, aus dem Nahen Osten, aber auch aus Deutschland, aus Russland, aus Bosnien Kämpfer gekommen sind, die eben etwas ganz anderes wollen, als die syrische Bevölkerung, die syrische Opposition. Die wollen nämlich eine Art Gottesstaat, in der Ungläubige, wie sie sagen, nichts zu suchen haben. Das macht die Sache für die Rebellion der Syrer ganz besonders schwierig.

domradio.de: Die syrische Opposition fordert einen Luftangriff der Amerikaner auf Assad. Was halten Sie von einem amerikanischen Angriff im Land?

Neudeck: Natürlich halte ich davon überhaupt nichts. Ich bin freudig erregt darüber, dass es möglich sein könnte, bei den Verhandlungen zu einem Übereinkommen zu kommen zwischen den beiden Großmächten, die sich ja fast in eine Kalte Kriegs-Spanne wieder zurückbewegt haben. Es kann bei der Gemengelage, die wir in Syrien haben, überhaupt keine vernünftige militärische Option geben. Man kann natürlich die Opposition verstehen, die möchte gerne durch einen einzigen Schlag, die großen Gefahren (abwenden Anm. d. Red.), die der Zivilbevölkerung weiter drohen durch die Luftwaffe von Assad. Das ist wirklich eine ganz ganz große Gefahr, die darf in Deutschland niemand unterschätzen, die Menschen sind dort wirklich aufgeschmissen und haben keine Sicherheit, es ist dort alles immer wieder bedroht. Das habe ich selbst bei meinen Besuchen erlebt durch ständige Luftangriffe und Bombardements.

domradio.de: Es gibt ein Leben nach Assad, so lautet der Titel ihres Buches. Man fragt sich nur - was für ein Leben? Also wie stellen Sie sich das Syrien nach Assad vor? Man denkt ja oft - die Opposition oder Assad, das ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera, oder?

Neudeck: Ich würde das so nicht nennen. Ich würde schon sagen, dass es eine Legitimation für die Rebellion gibt. Es gibt eine der härtesten Geheimdienstdiktaturen der Welt in Syrien und das hat eine Familie aufgebaut, die heißt Assad. Das Leben der Syrer war bis hier ins Exil hinein bestimmt von einer Angst vor diesen Geheimdiensten. Deshalb kann man den Wunsch nach einem Umsturz sehr sehr gut verstehen. Der Titel des Buches ist im letzten Jahr entstanden als wir noch alle bis hin zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes Schindler der festen Überzeugung waren, dass es nur noch eine Frage von Wochen ist, bis Assad fällt oder ins Exil nach Moskau oder nach Südamerika oder wohin auch immer geht. Das hat sich, wie wir wissen, ganz geändert. Ich bin weiter überzeugt, dass die Syrer auf Dauer nicht ein Regime akzeptieren werden, das ihnen jegliche Möglichkeiten zur freien Entfaltung nimmt und das ihnen auch zeigt, eben durch die Zerstörungen des ganzen Landes, dass man mit so einer Regierung besser nicht weiterfährt.

domradio.de: Wie wird das Leben für die Christen nach dem Assad-Regime aussehen, wird es überhaupt noch möglich sein?

Neudeck: Das ist eine ganz wichtige Frage, übrigens nicht nur für die Christen, sondern sicher auch für die Minderheiten, die bisher politisch von dem Regime bevorzugt und privilegiert waren. Die sind ganz sicher in einer Situation, in der sie Angst und Furcht haben. Die Alewiten ganz besonders, weil ja die Familie Assad aus dieser schiitischen Gruppierung herauskommt. Die Alewiten und die Christen sind sicher diejenigen, die sich genau jetzt überlegen müssen, wie sie sich politisch positionieren. Der jetzt leider gerade auch entführte Pater Paolo Dall'Oglio, der 30 Jahre lang in Syrien ein Zentrum geleitet hat in einem Kloster und eine der berühmtesten Christen dort gewesen ist, hat das immer wieder gesagt: Wichtig ist, dass in diesem multireligiösem, multikonfessionellen und multiethnischem Land die Menschen versuchen, miteinander zu leben, miteinander auszukommen und dafür alles zu tun.

Ich denke, die Christen müssen sich klar machen, dass sie in gewisser Weise auch mit dem Regime zu stark zusammengearbeitet haben und sollten jetzt sehen, dass sie eine Position finden, die Ihnen auch einen Zugang zu der vernünftigen, der säkularen Opposition (verschafft Anm. d. Red.). Es gibt ja sehr prominente Christen, die auch schon in der syrischen Koalition prominent vertreten waren. Zum Beispiel Michel Kilo, ein zivilgesellschaftlicher Akteur in Syrien. Also es gibt Christen in sehr führenden Positionen und ich glaube, wenn die Christen und auch der Episkopat der verschiedenen christlichen Kirchen in Syrien, wenn die einen vernünftigen Kurs einschlagen, muss es ihnen in einem Leben nach Assad auch nicht schlechter gehen als es ihnen vorher gegangen ist.

Das Interview führte Christian Schlegel


Grünhelme in Syrien (Grünhelme)
Quelle:
DR