domradio.de: Handelt es sich tatsächlich um einen religiösen Konflikt, oder geht es im Kern um etwas anderes in der Zentralafrikanischen Republik?
Bischof Nzapalainga: Ich kämpfe dafür, deutlich zu machen, dass es sich nicht um Konflikte zwischen Muslimen und Christen handelt! Es handelt sich um einen militärisch-politischen Konflikt. Die Seleka-Milizen haben eine ihrer Städte verlassen, um die Macht an sich zu reißen. Ihre religiösen Farben haben sie dabei keineswegs in den Vordergrund gestellt. Augenblicklich finden Sie in Zentralafrika niemanden, der sich wegen der Bibel, wegen des Korans, wegen des Kreuzes, wegen der Moschee, wegen einer Kirche kämpft. Sie bekämpfen sich, weil man ein Mitglied ihrer Familie getötet hat, sie bekämpfen sich, weil sie alles verloren haben, sie haben Hassgefühle, sie brennen darauf, ein Mitglied ihrer Familie zu rächen. Das sind nur allzu menschliche Gefühle, die mit Religion nichts zu tun haben. Sie finden keinen Imam an der Spitze der Seleka-Milizen, keinen Priester oder Pfarrer an der Spitze der christlichen Anti-Balaka-Milizen. Deswegen sagen wir, dass es keinen interreligiösen Konflikt gibt, es handelt sich in Wirklichkeit um die Macht.
domradio.de: Es handelt sich also nicht um einen Religionskonflikt - worum geht es dann im Kern bei den Auseinandersetzungen?
Nzapalainga: Sie bekämpfen sich heute, weil wir eine Gruppierung hatten, die aus dem Tschad und dem Sudan kam, deren Mitglieder weder Sango noch Französisch sprachen, die beiden Nationalsprachen in Zentralafrika. Diese Gruppierung hatte angefangen, sich auf die islamische Gemeinschaft zu stützen. Und dann hat man begonnen, bei den Christen Raubzüge durchzuführen und die Beute zu den Muslimen zu verschleppen. Und als die christlichen Familien gesehen haben, dass die Muslime diese Räuber aufnahmen, meinten sie, dass alle Seleka-Anhänger Muslime seien und alle Muslime Seleka-Anhänger. Dazu sagen wir: Nein, das stimmt so nicht! Denn es gibt auch Seleka-Anhänger, die Muslime ausgeplündert haben. Die Anti-Balaka-Gruppierung ist eine Bewegung, die es schon 1990 gab, und ihre Rolle bestand darin, die Wegelagerer zu bekämpfen, auch die Züchter, die mit ihren Rindern aus dem Tschad kamen, um sie in die Felder der zentralafrikanischen Bauern zu setzen. Angesichts der Brandschatzungen, der Gemetzel und der Übergriffe haben sich die Jungen der Dörfer gesagt: 'Zu viel ist zu viel! Jetzt müssen wir uns verteidigen'. Und dann haben sie sich zu den Anti-Balaka-Milizen geschlagen um sich zu verteidigen. Jetzt sind sie gekommen, bekämpfen die Gemeinschaften, nicht nur die Seleka, sondern auch die muslimischen Gemeinschaften.
Wir sehen also, dass in der Vergangenheit Muslime und Christen zusammengelebt haben. Jetzt, mit all dem, was geschehen ist, hat man die Gruppierungen und die Jungen instrumentalisiert. Sie werden losgeschickt, und sie werden manipuliert, indem man ihnen sagt: 'Los, bringt die Muslime um, denn sie sind die Freund der Seleka-Milizen.' Wir Priester und Pfarrer lehnen das eindeutig ab! Nicht alle Muslime sind Anti-Seleka. Man darf nicht alles durcheinander bringen.
domradio.de: Die Vereinten Nationen warnen vor einem Völkermord in der Zentralafrikanischen Republik - ist die Sorge berechtigt?
Nzapalainga: Diese Furcht ist gerechtfertigt, denn es gibt deutliche Vorzeichen dafür. Wir sehen alle die Jungen, die ankommen, um Teil einer Gemeinschaft zu werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel von einer Stadt namens Bogongolo: Im Juli habe ich dort Christen und Muslime erlebt. Zwei Monate später komme ich wieder – und was muss ich feststellen? Es gibt hier keine Muslime mehr! Ich habe bei den Anti-Balaka nachgefragt: Wo sind die Muslime hin? Sie antworteten mir: Man hat sie verjagt. Aber sind sie alle geflohen oder hat man sie umgebracht? Ich habe keine Ahnung. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen: Achtung, das sind Vorzeichen, und sie wollen alle Muslime töten. Und passt man nicht auf, dann führt das zu Säuberungen von einzelnen Gruppen, und man wird beschließen, alle Muslime ohne Unterschied zu töten. Vor zwei Wochen haben wir gerade das Schlimmste verhindert. Zum Glück hatte der Priester zeitig alle Muslime in die Kirche gebracht. Sonst hätten die Anti-Balaka sie getötet, nur dank der Mithilfe von Franzosen hat man sie retten können.
domradio.de: Sie engagieren sich für den Interreligiösen Dialog. Kann er überhaupt gelingen?
Nzapalainga: Gewiss ist der Hass zu stark. Wenn Sie Mitglieder Ihrer Familie verloren haben, jemanden der Ihnen teuer ist, haben Sie den Eindruck, dass die Welt zusammengebrochen ist. Das Leben scheint keinen Sinn mehr zu haben, manchmal sagen Sie sich sogar, dass Gott nicht existiere. Wir versuchen ihnen diesen Hass zu nehmen.
Ich bin mit dem Imam zusammen nach Europa gekommen. Wir waren zusammen in Brüssel, Paris und London Wir wollen immer die gleiche Nachricht verbreiten, dass Christen und Muslime ein gemeinsames Schicksal haben. Wir sind alle Söhne und Töchter dieses Landes, das Zentralafrikanische Republik heißt. Wir dürfen uns nicht gegenseitig umzubringen, uns untereinander zerreißen.
domradio.de: Die EU will 500 Soldaten in die Zentralafrikanische Republik entsenden - heißt das, die französischen und afrikanischen Soldaten, die derzeit dort sind, reichen nicht aus?
Nzapalainga: Das bedeutet, dass die Armee nicht mehr existiert. Die militärische Führung, die Miliz und die Polizei haben sich nach der Machtergreifung aufgelöst. Andere sind in Nachbarländer verschwunden, manche haben sich versteckt, andere wieder sind aus militärischen Diensten entlassen worden, also sie sind nicht mehr einsatzfähig. Nun haben wir Leute ohne jeglichen Vertrag. Die Rebellen sind gekommen und geben vor, Polizisten, Milizen, Soldaten zu sein, wo sie doch keinen Verträgen unterliegen. Heute sehen wir mit dem Einsatz der Sangaris, den französischen Streitkräften, der MISCA, dass die Situation komplex geworden ist. Diese Kräfte sind nicht ausreichend. Selbst weitere 500 Soldaten werden nicht ausreichen. Jeden Tag erleben wir den Hass, die Rache vieler jungen Leute, die sich in die Büsche geschlagen hatten. Sie sind wie Wölfe, Tiere, die man aussetzt, rauswirft, und die danach trachten, sich zu rächen. Deswegen braucht es internationale Streitkräfte, Blauhelme der UNO. Diese Kräfte könnten es schaffen, diese Rachegelüste zu unterbinden und auch den Menschen ermöglichen, Medikamente und Nahrung zu erhalten, damit sie in Würde leben können. Das ist jetzt nicht der Fall. Und deswegen sagen wir, dass es nicht damit getan ist, mit den 1.600 Soldaten und weiteren 500, die kommen sollen. Wir brauchen eine Streitmacht der UNO, und wir hoffen, dass sich auch Deutschland daran beteiligen wird.
domradio.de: In Deutschland wird jetzt darüber diskutiert, wie man Ihrer Heimat helfen kann. Es geht konkret um Transportflugzeuge und Luftbetankung für einen europäischen Militäreinsatz. Was ist das Wichtigste?
Nzapalainga: Wir ermuntern Deutschland, der zentralafrikanischen Bevölkerung zu helfen, die sich furchtbaren Dramen ausgesetzt sieht. Wir denken, dass Deutschland mehr machen kann. Wir hoffen, dass eine mögliche UNO-Mission mit Soldaten und militärischer Führung unterstützt. Deutschland könnte uns auch beim Wiederaufbau behilflich sein. Den Staat gibt es ja nicht mehr. Es herrscht Chaos und Anarchie. Also müssen die Gebäude erneuert werden, die Institutionen umgestaltet werden, es müssen Mittel bereitgestellt werden, damit die Menschen arbeiten können, und Deutschland kann da einiges beisteuern. Wir hoffen auch, dass Deutschland das Wahlverfahren unterstützen kann, damit es freie und offene Wahlen gibt, damit die Leute nicht frustriert sind. Damit alle Menschen an der Erneuerung der zentralafrikanischen Republik teilhaben können.
domradio.de: Was wünschen Sie sich von den deutschen Katholiken?
Nzapalainga: Ich erwarte von den deutschen Katholiken, dass sie für ihre Brüder und Schwestern in der zentralafrikanischen Republik beten. Das Gebet, das ist die vordringliche Aufgabe. Zweitens, dass sie in ihrer Umgebung das, was sie aus meinem Munde vernehmen, bedenken und weitergeben. Und drittens können sie sich solidarisieren und mit finanziellen Mitteln das Leiden ihrer Brüder und Schwestern in der zentralafrikanischen Republik lindern.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.