Kirchenrechtler Lüdicke zur Debatte um wiederverheiratete Geschiedene

"Kardinäle Marx und Müller sprechen von verschiedenen Dingen"

Die Kardinäle Marx und Müller, die mächtigsten deutschen Kirchenmänner, scheinen uneins beim Thema der wiederverheirateten Geschiedenen zu sein. Der Kirchenrechtler Prof. Klaus Lüdicke versucht im Interview, die Fronten aufzuweichen.

Die Kardinäle Müller und Marx (dpa)
Die Kardinäle Müller und Marx / ( dpa )

domradio.de: Können Sie noch einmal genau erklären, warum wiederverheiratete Geschiedene nach kirchlichem Recht keine Sakramente mehr empfangen dürfen?

Prof. Lüdicke: Die grundsätzliche Marschrichtung in dieser Frage ist seit langem so definiert, dass die erste Aussage dogmatisch lautet: Die Ehe ist unauflöslich. Wenn jemand standesamtlich wieder heiratet, ist der Stand in dem er dann lebt, keine kirchlich gültige Ehe. Die zweite Prämisse lautet: Jeder, der ein solches Verhältnis eingeht, lebt in permanentem Ehebruch. Die dritte Prämisse lautet, dass dies eine schwere Sünde sei, eine Todsünde, die den Kommunionempfang ausschließt, solange der Betroffene nicht bereut und beichtet.

Nun wird aber immer wieder eine Barmherzigkeit gefordert. Da wird auch gerne auf Jesus und das Gleichnis mit der Ehebrecherin hingewiesen. Es wird eine Möglichkeit der Umkehr gefordert. Oder es wird beklagt, dass ein Mörder nach der Beichte wieder zur Kommunion gehen könne, die Wiederverheirateten aber nicht.

domradio.de: Gibt es denn die Chance, das Dilemma zu lösen?

Prof. Lüdicke: Die Unauflöslichkeit der Ehe ist eine dogmatische Vorgabe, an der nicht gerüttelt werden kann und auch nicht gerüttelt werden wird und an der auch Kardinal Marx nicht rüttelt. Die Frage ist letztlich nicht die, ob Leute kirchlich erneut heiraten können nach der Scheidung, dafür sind die kirchlichen Ehegerichte zuständig, sondern ob sie, wenn sie dann in einer zweiten Zivilehe leben, wirklich in Todsünde leben oder nicht. Das ist bisher standardmäßig so gesehen worden, und da kommt offensichtlich Bewegung ins Spiel, weil auch in vielen anderen Bereichen, wie der Bewertung der Homosexualität, vorehelicher Lebensgemeinschaften oder nichtehelicher Lebensgemeinschaften und der Situation Alleinerziehender die Kirche offenbar nun bereit ist, differenzierter nachzudenken und diese Lebenssituationen differenzierter zu würdigen.

domradio.de: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Äußerung von Kardinal Müller, Gottes Wort könne nicht durch menschliches Handeln außer Kraft gesetzt werden, und von Kardinal Marx, der wiederverheirateten Geschiedenen gerade wieder Hoffnungen gemacht hat?

Prof. Lüdicke: Die beiden Kardinäle Marx und Müller sprechen wohl von verschiedenen Dingen, ohne sich darüber zu verständigen, dass sie dies tun. Auf der einen Seite steht das Festhalten an der Unauflöslichkeit der Ehe als dogmatische Vorgabe. Das ist der Kernpunkt der Aussagen von Kardinal Müller, die Kardinal Marx nicht bestreitet. Auf der anderen Seite steht die Frage nach der moralischen Qualität eines Zusammenlebens nach einer solchen Scheidung. Es gibt ein Bindeglied zwischen diesen beiden Elementen, das bereits in dem Schreiben "Familiaris Consortio" von Johannes Paul II. angedeutet ist: Wenn man wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zuließe, würde das bei den Gläubigen Verwirrung über die Unauflöslichkeit der Ehe auslösen; und den Eindruck erwecken, man dürfe das. Das ist natürlich eine vage These. In meiner jahrzehntelangen Erfahrung mit kirchlichen Ehenichtigkeitsprozessen habe ich niemanden erlebt, der sich hat scheiden lassen, weil er glaubte, dass man dann kirchlich wieder heiraten könne. Und auch niemanden, der beim Partner geblieben ist, nur um weiter die Kommunion empfangen zu dürfen. Dieses Bindeglied, die Verwirrung bei den Gläubigen, das muss man anders angehen, als dadurch, dass man die Gläubigen am Kommunionempfang hindert.

domradio.de: Papst Franziskus hat mit seiner Familiensynode im Herbst im Vatikan und mit dem Fragebogen, den er an die Gemeinden weltweit versendet hat, gezeigt, dass er auf die aktuellen Sorgen und Nöte von Familien eingehen möchte. Ist es wahrscheinlich, dass Papst Franziskus dabei auch das Problem der wiederverheirateten Geschiedenen in den Mittelpunkt rücken wird?

Prof. Lüdicke: Auf den beiden Bischofssynoden 2014 und 2015 wird das Thema Ehe und Familie eine zentrale Rolle spielen und auch dieses Thema. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der Papst nun vorprescht, ohne den Konsens der Gesamtkirche zu suchen und in einer Synode wirklich die Meinung der Bischöfe zu erfragen. Aber es gibt bei ihm Tendenz, von Barmherzigkeit und von Umkehr zu sprechen, von der Möglichkeit der Kirche, den Menschen nachzugehen, statt sie abzuweisen. Also, der Trend geht dahin, hier eine Lösung zu finden, die mit dieser moralischen Verurteilung, wie sie bisher Standard war, ein Ende macht.

Das Interview führte Christian Schlegel.


Quelle:
DR