Deutschlands WM-Stadt Fortaleza

Wo die Jugend nicht träumt

Die WM-Stadt Fortaleza gilt als Urlaubsparadies - auch für den internationalen Sex-Tourismus. Opfer sind meist Jugendliche, die es in der von Gewalt und Armut geprägten Stadt schwer haben.

Autor/in:
Thomas Milz
Mädchen vor dem Castelao-Stadion in Fortaleza  (KNA)
Mädchen vor dem Castelao-Stadion in Fortaleza / ( KNA )

Die deutsche Nationalmannschaft trägt hier am Samstag ihr zweites Gruppenspiel gegen Ghana aus. Fortaleza, die Drei-Millionen-Metropole im Nordosten Brasiliens, ist laut einer UN-Studie die siebtgefährlichste Stadt weltweit. Hier geschehen dreimal so viele Morde wie im Landesdurchschnitt: die höchste Mordrate aller WM-Städte. Besonders die Jugend schwankt zwischen Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit. Im Hotelviertel der Stadt verkaufen Mädchen wie Jungen ihre Körper an meist europäische Urlauber. Fortaleza ist das Zentrum sexueller Ausbeutung Minderjähriger in Brasilien. Das Problem werde von der Landesregierung heruntergespielt, sagt Talita Maciel vom Kinderschutzbund CEDECA, "im ganzen Bundesstaat gibt es eine einzige zuständige Polizistin". Man wolle wohl den boomenden Tourismus nicht stören. Dazu komme das Macho-Vorurteil, dass die Opfer selbst Schuld hätten.

Gewalt Konsequenz fehlender Familienstrukturen

Im Mädchenheim Santa Monica betreut der spanische Orden der Augustiner-Rekollekten 24 durch Familienmitglieder missbrauchte Mädchen. "Die Situation der Jugend in Fortaleza ist Konsequenz fehlender Familienstrukturen", glaubt Heimleiter Jose Alberto Moreno. "Brüchige Familien können Probleme wie Gewalt, Drogen und Prostitution nicht lösen". Die Gesellschaft sei immer noch in Klassen, Kasten und Rassen geteilt - und die farbige Unterschicht dabei ausgeschlossen. "Wir reden da von 60 Prozent der Gesellschaft".

Die 11-jährige Joana lebt seit drei Jahren in dem Heim, nachdem der damals 23-jährige Bruder sie missbrauchte. Der sitzt nun im Gefängnis. "Ab und zu besucht mich meine Mutter, aber mein Vater will mich nicht sehen. Das macht mich traurig", erzählt das Mädchen. Den Traum, zurück zur Familie zu gehen, hat sie aufgegeben. "Meine Zukunft liegt hier".

Arme Familien seien oft froh, wenn ihre Kinder woanders unterkämen, so Heimleiter Moreno. "Joanas Mutter hat acht weitere Kinder, deshalb kämpft sie nicht um Joana, sondern um den Ehemann und die Söhne, die Geld nach Hause bringen". Die strukturellen Probleme der Familien gingen über das des sexuellen Missbrauchs hinaus, erläutert er. "Ohne kulturellen Background stürzen sich die Familien auf alles, was neu ist, von Konsumgütern bis hin zu Drogen". Das ist für viele wichtiger als Kultur und Struktur. Ein erschreckendes gesellschaftliches Phänomen entstehe: "Die Jugendlichen aus armen Familien träumen nicht mehr".

Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt Mädchenheim Santa Monica

So erschreckend Joanas Schicksal sei: "Die Kinder haben hier im Heim eine Zukunft, anders als dort draußen", sagt Moreno. Seine Arbeit wird seit Jahren vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat aus Deutschland unterstützt. Von der Lokalregierung kämen nur stets neue Auflagen, die ihre Arbeit erschwerten, jedoch niemals finanzielle Hilfen. Oft fangen kirchliche Organisationen die öffentliche Ohnmacht auf. Als im April in Rio de Janeiro die Fußball-WM der Straßenkinder ausgetragen wurde, vertraten Jugendliche aus dem katholischen Projekt "O Pequeno Nazareno" (Der kleine Nazarener) aus Fortaleza ihr Land.

Kapitän Rodrigo galt als Spieler mit Profi-Potential. Doch kurz vor dem Turnier wurde er mit fünf Kugeln ermordet, "morgens auf dem Weg zu unserem Training", berichtet Projektkoordinator Manoel Torquato. Wohl eine Aktion von Drogendealern, ein typisches Schicksal. "Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden 6 der 40 von uns betreuten Straßenkinder ermordet. Zwei wurden im Schlaf aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen". Zwar sei kein direkter Bezug zur WM herzustellen. Aber das Event verstärke Ressentiments gegenüber unliebsamen Elementen.

"Die WM vertreibt die Kinder von den Straßen, denn die Regierung will nicht, dass die sozialen Probleme Brasiliens für Touristen und die internationalen Medien sichtbar werden", so Torquato. Während die Behörden auf Vertreibung setzten, "will unser Projekt zeigen, dass diese Kids eine Zukunft haben - und man sie nicht wie Müll behandeln muss".

 

 

Quelle:
KNA