Die kirchliche Lehre zur Sexualität spiele im Alltag vieler deutscher Katholiken kaum noch eine Rolle, räumten die Bischöfe im Februar nach der Auswertung von mehr als 1.000 Seiten Eingaben aus Bistümern und Verbänden freimütig ein. Ehe und Familie genössen zwar weiterhin höchste Wertschätzung, dennoch scheiterten in einer hochflexiblen Gesellschaft immer mehr Ehen.
Deutschland steht damit nicht allein. Andere Bischofskonferenzen, auch außerhalb Europas, melden ähnliche Ergebnisse. Ab 5. Oktober berät in Rom eine Bischofssynode mit dem Papst, welche Konsequenzen die Kirche daraus zieht. Die Berliner katholische Familienreferentin Ute Eberl, die als einzige Deutsche zusammen mit Kardinal Reinhard Marx nach Rom reist, hofft darauf, dass sich die Versammlung mit der Lebenswirklichkeit der Menschen auseinandersetzt. Sie setzt auf den "frischen Wind, den Papst Franziskus gebracht hat".
Verbot von Verhütungsmitteln wird abgelehnt
In ihrer im Februar nach Rom übermittelten, 20-seitigen Auswertung stellen die deutschen Bischöfe eine "große Differenz zwischen den Gläubigen und der offiziellen Lehre" der Kirche fest, etwa beim Thema Empfängnisverhütung. Das Verbot künstlicher Verhütungsmethoden werde "von der großen Mehrheit der Katholiken als unverständlich abgelehnt und in der Praxis nicht beachtet". Wie sehr Norm und Wirklichkeit auseinanderklaffen, zeigt sich auch beim Ehe-Verständnis: Nahezu alle Paare, die eine kirchliche Trauung wollten, lebten bereits zusammen.
Ehen unter Katholiken seien kaum stabiler als andere, lautet die Analyse. Auch den Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten können die meisten Katholiken "nicht nachvollziehen".
Bleibt die Frage, welche Konsequenzen die Bischöfe aus dieser Analyse ziehen. Geht es nur darum, die Lehre bekannter zu machen oder verständlicher zu formulieren, wie manche andeuten? Oder müssen manche Aussagen auch im Licht wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Medizin, Biologie oder Theologie überprüft werden? Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann jedenfalls sieht Defizite in der Argumentation der Kirche und der "Autoritätsausübung zu manchen Dingen". Der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack warnt die Kirche andererseits davor, hinter Mehrheitsmeinungen herzulaufen. Letztlich müsse eine Neuausrichtung «aus theologischen Überlegungen kommen». Eine Verbotsethik jedenfalls, da sind sich die Bischöfe einig, bewirkt nicht mehr viel.
Große Debatte um die Zweitehe
Besonders konzentiert sich die Debatte auf den Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen. Wie groß das Problem ist, zeigen die Statistiken: 2012 wurden in der Bundesrepublik rund 387.000 Ehen geschlossen, 179.100 Ehen wurden geschieden. Zwar ist der Trend zur Scheidung in jüngster Zeit wieder leicht rückläufig, und die Ehen halten in Deutschland wieder etwas länger. Dennoch sind heute rund 25 Prozent aller neu geschlossenen Zivil-Ehen Wiederverheiratungen.
Angesichts dieses "Scheiterns" menschlicher Beziehungen sprechen sich die meisten Bischöfe für neue Wege aus - gerade mit Blick auf die Wiederzulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten.
Die große Mehrheit wolle dabei "in eine Richtung gehen, wie sie Kardinal Walter Kasper vorgeschlagen hat", hat der Konferenzvorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, offengelegt. Kasper wirbt für einen "Weg der Barmherzigkeit" in Einzelfällen. Einen entsprechenden Vorschlag wollen die deutschen Bischöfe in die Synode einbringen.
Keine einheitliche Meinung
Einig sind sie sich dabei aber nicht. Der deutsche Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, und der Kirchenhistoriker und Kardinal Walter Brandmüller haben sich explizit gegen die von Kasper vorgeschlagene Öffnung der Lehre gewandt. Auch der Passauer Bischof Bischof Stefan Oster sieht keinen Spielraum bei der Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zu den Sakramenten.
Falls es bei der Synode zu einer offenen Konfrontation kommt, stehen deutsche Bischöfe und Kardinäle bei dieser Auseinandersetzung in der ersten Reihe.