Woche um Woche ist die Zahl der Demonstranten bei den "Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) gewachsen, auf zuletzt rund 24.000. Jetzt haben Befürworter und Gegner erstmals nach dieser Zuspitzung einander zugehört. "Viele Menschen haben sich in einer Weise politisiert, wie ich sie aus vergangenen Jahren nicht kenne", sagt Frank Richter am Freitagabend in Dresden. Der 54-Jährige, einst katholischer Priester, heute Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB), versteht sich wie schon im Herbst 1989 in Dresden als Vermittler.
Etwa 400 Bürger sitzen an diesem Abend im größten Saal des Dresdner Stadtmuseums. Am 19. Januar waren alle Kundgebungen abgesagt worden, aus Sicherheitsgründen. Richter hatte die Pegida-Organisatoren in der Landeszentrale eine Pressekonferenz geben lassen. Kritiker, darunter auch Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale, hatten ihm fehlende Überparteilichkeit vorgeworfen. Im Stadtmuseum hingegen danken ihm mehrere Redner für seine Vermittlung.
Feste Regeln für den Dialog
Es ist ein Abend nach der Fishbowl-Methode, mit festen Regeln: in der Mitte ein Tisch, vier Stühle, Mikrofone. Jeder darf sich drei Minuten lang äußern. Die anderen müssen ihm zuhören, ohne Zwischenrufe, ohne Beifall. Prominentester Gast an diesem Abend ist der SPD-Chef Sigmar Gabriel, der privat gekommen ist, wie er betont.
16 Männer und fünf Frauen erzählen in den zwei Stunden, warum sie zu den Pegida-Demonstrationen gehen oder warum nicht. Ältere, Junge, vom Dresdner Rentner bis zum muslimischen Studenten türkischer Herkunft aus Berlin.
Ein Pegida-Anhänger meint, so lange er als Antidemokrat und ausländerfeindlich verunglimpft werde, demonstriere er weiter mit. Andere kritisieren die ihrer Ansicht nach einseitige Presse. Ein Mann spricht von muslimischen Großfamilien in Berlin, "die ganze Straßenzüge terrorisieren", von Hasspredigern und überdimensionalen Moscheen. "Wir Dresdner haben Angst vor den gleichen Zuständen wie in Berlin." Viele beklagen, bei Politikern fänden sie kein Gehör. "Wie unmündige Kinder fühlen wir uns", sagt ein Mann.
Auch Experten kommen zu Wort
Ein anderer meint: "Gut, dass einige jetzt mal unter die Bevölkerung gehen." Er wendet sich um, dorthin, wo SPD-Chef Gabriel unter den Zuhörern sitzt. "Hättet Ihr gar nicht gedacht?", gibt der zurück. Nach der Veranstaltung diskutiert der Wirtschaftsminister noch etwa eine Stunde mit Pegida-Anhängern.
Pegida-Gegner, etwa ein Lehrer aus Berlin-Neukölln, meinen, Ängste vor Islamisierung beruhten auf Unkenntnis. Wenn es eigentlich um soziale Fragen gehe, verstehe sie den Begriff "Islamisierung" im Namen der Bewegung nicht, sagt eine junge Frau. Ein bärtiger muslimischer Student erklärt: "Genau so wie Pegida-Demonstranten fühle auch ich mich abgestempelt. Dabei distanziere ich mich von den Klischees Terror und Islamismus."
Zwischen den Bürgern dürfen Experten reden. Die einstige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, CDU-Mitglied und Publizistin, bezeichnet Pegida als eine "Art Bürgerbewegung". Nur seien viele irritiert, dass diese nicht auf der linken Seite stehe. Stattdessen nehme sie jenen Platz ein, den die CDU vor Jahren geräumt habe. Der Ruf "Wir sind das Volk" werde von Pegida nicht missbraucht. "Diese Menschen sind ebenso ein Durchschnitt der Bevölkerung wie 1989."
Kommunikationswissenschaftler: Vorurteile abbauen
Wilfried Schulz hingegen, Intendant des Staatsschauspiels Dresden, zeigt sich angesichts der Pegida-Demonstrationen enttäuscht von der Kulturstadt Dresden. "Dort wird nicht die Empathie und Toleranz vertreten, für die wir am Theater eintreten." Zudem sei in der Stadt viel Fremdenfeindlichkeit zu spüren.
Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach von der TU Dresden konstatiert eine gegenseitige "selektive Wahrnehmung" und Stereotype. Eine Seite unterstelle der anderen unlautere Motive. "Wir haben Demonstrationen und Gegendemonstrationen, aber zu wenig Dialog." Pegida-Anhänger hätten eher rechtskonservative Einstellungen und Ängste vor islamistischem Terror, seien jedoch mehrheitlich keine Rassisten. Sicherlich sei Pegida anfangs von Politikern und Presse dämonisiert worden. "Aber lupenrein demokratisch war die Bewegung auch nicht."