domradio.de: Alexis Tsipras ist der erste griechische Staatschef, der keinen religiösen Eid abgelegt hat. Wird sich unter ihm also das Verhältnis von Staat und Religion ändern?
René Lammer (Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Athen): Ich denke, dass nicht nur das Verhältnis von Staat und Religion durch ihn sich ändern wird, sondern wir sehen in der Tat, dass da Änderungen sich auch schon unter der vorherigen Regierung vollzogen haben. Das ist eher ein Langzeittrend, der jetzt durch Tsipras sicherlich einen besonderen Schub bekommen wird.
Im letzten Jahr wurde ein neues Religionsgesetz herausgegeben und in diesem Religionsgesetz sind unter anderem auch wir und noch vier andere Kirchen offiziell als Kirche anerkannt. Das heißt, die Orthodoxie ist nicht mehr die "alleinseeligmachende" Kirche in Griechenland. Es ist nicht mehr Synonym Grieche und orthodox zu sein. Da ist ein Trend, den ich insgesamt als Modernisierung und auch Säkularisierung bezeichnen würde, der nun auch in Griechenland ankommt und wahrscheinlich durch die Krise noch einmal zusätzlich beschleunigt werden wird.
domradio.de: Was hat das für Auswirkung auf Ihre Gemeinde? Freuen sich die Gemeindemitglieder über diesen Regierungswechsel oder stehen sie ihm eher skeptisch gegenüber?
Lammer: Ich denke, dass die große Mehrheit unserer Gemeindemitglieder dem skeptisch gegenüber steht, weil im Grunde man nicht richtig sehen kann, wohin die Reise nun gehen soll. Das ist jetzt natürlich auch noch einmal dadurch verstärkt worden, dass mit den unabhängigen Griechen eine Koalition eingegangen worden ist. Das sind ja im Grunde genommen zwei wirklich extreme Pole, die da offensichtlich zusammengefunden haben. Beide Pole sind nun nicht dafür bekannt, dass sie ein besonders einfaches Kommunikationsverhältnis zu uns Deutschen haben, wenn ich es mal so sage. Die unabhängigen Griechen haben sich ja immer sehr lautstark zu Wort gemeldet, was es heißt, europäische Politik hier in Griechenland in seine Schranken zu verweisen. Das zum einen.
Zum anderen natürlich auch die Migrationspolitik und die Ablehnung der Migranten, die da sehr deutlich formuliert worden ist. Wir selbst als Gemeinde versuchen, gerade auch den Migranten zu helfen. Um ein Beispiel zu sagen, wir haben eine Gemeinde hier, die sich in unserer Kirche jeden Sonntag trifft. Das ist eine pure Migrationskirche aus Afrikanern und Philippinos bestehend, denen wir jetzt Gelegenheit gegeben haben, hier ihre Gottesdienste zu feiern. Die Leute werden natürlich unter Druck gesetzt durch solche Signale, die jetzt gegeben werden. Wie sich das schließlich auswirkt, weil Syriza ja gerade doch eher eine andere Position dort vertritt, das lässt sich für uns noch gar nicht vorher sagen. Das sind im Grunde genommen für uns widersprüchliche Signale, die gesendet werden.
Das Interview führte Verena Tröster.