KNA: Monsignore Spiegel, wie geht es den Menschen in Tacloban? Welche Hilfe benötigen sie rund 15 Monate nach der Katastrophe?
Msgr. Pirmin Spiegel (Misereor-Hauptgeschäftsführer): In Tacloban ist der Aufbau in vollem Gange. Im Stadtzentrum ist kaum noch zu erkennen, dass es eine Katastrophe gegeben hat, während die Zerstörung an den Peripherien noch sehr sichtbar ist: die Wunden der Natur, die Wunden der Menschen. Die Seele ist nach wie vor traumatisiert. Nach der Nothilfe geht es für Misereor jetzt darum, dass wir uns gemeinsam mit den Menschen an ihre Potenziale, ihre Träume, ihre Würde erinnern und sie unterstützen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Sie müssen ihre eigene Autonomie wieder erfahren und Vertrauen in sich selbst gewinnen.
KNA: Thema der Fastenaktion ist "Neu denken! Veränderung wagen." Es geht um die Auswirkungen des Klimawandels. Wo sind Ihnen auf den Philippinen die Folgen begegnet?
Spiegel: Wir haben in Tacloban ein Massengrab mit mehr als 2.000 Toten besucht, die in dem Taifun ihr Leben ließen. Dort haben wir versucht zu begreifen, was den Menschen in dieser Nacht widerfahren ist - an Sturm, an Angst, an Unverständnis. Immer wieder haben wir gehört, dass ihnen Worte fehlten, um das Erlebte zum Ausdruck zu bringen und dass dieses Ereignis ihr Leben für immer verändert hat.
Das ist die Wirklichkeit des Klimawandels. Er ist nicht weit weg, kein theoretischer Begriff. Es geht um Leben und Tod. Das ist in Tacloban sehr deutlich geworden. Der Taifun ist in den Herzen der Menschen; fast jeder hier hat Familienmitglieder verloren. Die Angst vor den Folgen des Klimawandels, vor Taifunen, stärkeren Wellen, wird wahrscheinlich nie mehr vergehen.
KNA: Was tut Misereor auf den Philippinen konkret, um zu helfen?
Spiegel: Wir sind mit unseren Partnerorganisationen an verschiedenen Orten im Land tätig, um den Menschen bei der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels zu helfen. Das sind in Tacloban etwa der Wiederaufbau und die Organisation der betroffenen Gemeinschaften. Auf der Insel Siargao im Osten der Philippinen unterstützen wir ein Projekt, bei dem es um umweltfreundliche Fischwirtschaft, den Küstenschutz und alternative Einkommensmöglichkeiten für Fischer geht. Ein anderes Projekt in der Großstadt Davao kümmert sich um die Belange einer kleinen Minderheit - die sogenannten Badjaos, frühere Seenomaden, leben hier auf Land, das gar nicht zur Besiedlung frei gegeben ist, in Elendsvierteln direkt an einer Flussmündung. Sie sind unmittelbar den Gefahren von Sturmflut und Überschwemmung ausgesetzt.
KNA: Welches Ziel verfolgt Misereor mit der Fastenaktion?
Spiegel: Wir wollen Klimawandel und Klimagerechtigkeit zum Thema machen; zeigen, dass der Klimawandel an unterschiedlichen Orten dieser Erde unterschiedliche Konsequenzen und unterschiedliche Herausforderungen mit sich bringt. Wir wollen auch anschaulich machen, dass es Menschen gibt, die bereits heute zwischen Leben und Tod stehen. Es darf nicht sein, dass der Klimawandel nur eine Frage dieser Menschen ist.
KNA: Welche Forderungen stellen Sie?
Spiegel: Es muss eine Solidarität über das eigene Land hinaus geben; eine Sensibilität für das Leiden der Menschen, auch wenn sie Tausende Kilometer weit weg sind. Wir müssen uns der Herausforderung des Klimawandels stellen, weil sie Menschen heute betrifft, weil sie Menschen der künftigen Generationen betreffen wird und weil die Erde das gemeinsame Haus von uns allen ist. Dafür wollen wir Aufmerksamkeit schaffen. Der Klimawandel ist eine Herausforderung, auf die wir in Deutschland anders antworten müssen als die Menschen auf den Philippinen.
KNA: In Deutschland erscheint der Klimawandel häufig weit weg - warum geht uns das Thema an?
Spiegel: Wir sehen hier ganz deutlich, welche Folgen es hat, wenn Menschen in der Logik des unbedingten Konsums Grenzen nicht wahrnehmen und Rohstoffe um jeden Preis ausbeuten. Das hat Konsequenzen, etwa die Erwärmung der Weltmeere. Das betrifft wiederum jene Menschen, die von der Fischerei leben. Das sind Zusammenhänge.
Die Atmosphäre gehört nicht nur Philippinern, nicht nur Europäern, nicht nur uns Deutschen. Wir wissen, dass sie nur eine bestimmte Menge von Treibhausgasen deponieren kann und dass wir dieses Depot mit großen Schritten immer schneller füllen.
KNA: Und was heißt das konkret für jeden Einzelnen von uns?
Spiegel: Es stellt sich die Frage nach dem eigenen Lebensstil; danach, wie wir konsumieren und produzieren; der Art und Weise, wie wir mit dem Reichtum dieser Erde umgehen. Wie wollen wir auf dieser Erde leben? Es geht darum, dass auch wir in geografisch privilegierten Ländern eine Gesamtverantwortung übernehmen. Die Fastenzeit ist eine gute Zeit, neu zu denken, Neues zu wagen und sich der Perspektive der Betroffenen zu stellen.
Das Interview führte Inga Kilian