Die steigende Zahl Schutzsuchender an den Grenzen Europas hat Nadim Ammanns Aufgabenfeld ins Zentrum des Interesses gerückt: Seit 2003 ist er Referatsleiter in der Diözesanstelle Weltkirche des Erzbistums Köln und damit zuständig für die Flüchtlingshilfe im Ausland. Jetzt hat der Diplom-Pädagoge Projekte im Nordirak und in Jordanien besucht. Über seine Erfahrungen spricht er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Ammann, Kardinal Woelki hat die Flüchtlingspolitik im Erzbistum Köln sozusagen zur Chefsache gemacht und zum Beispiel für Freitag zu einem großen Solidaritätsabend für Flüchtlinge am Kölner Dom sowie im gesamten Erzbistum aufgerufen...
Nadim Ammann: Das finde ich sehr gut, denn wir sind als Kirche auf jeden Fall gefragt, den Menschen in Not zu helfen. Kardinal Woelki ist es sehr wichtig, hier ein Zeichen zu setzen, weil er davon überzeugt ist, dass wir in Jahren gefragt werden, wo die Kirche war, als es diese großen Flüchtlingswellen gab. Ich hoffe, dass wir mit unseren Hilfswerken ein Profil entwickeln, um das alles gut zu machen.
KNA: Sie waren vor kurzem im Nahen Osten. Welche Eindrücke bringen Sie von Ihrer Reise mit?
Ammann: Die Situation im Nordirak hat sich nach meiner Wahrnehmung deutlich verbessert, auch wenn sie nach wie vor insgesamt bedrückend ist. In der kurdischen Hauptstadt Erbil leben viele christliche Familien - hauptsächlich syrisch-orthodoxe und syrisch-katholische - in Flüchtlingszentren. Vorher haben sie in Pfarrhöfen übernachtet, jetzt immerhin in Containern mit zwei Zimmern, einem kleinen Bad und einer Kochnische je Familie. Aber stellen Sie sich vor, wie es einem da bei Temperaturen bis 50 Grad geht! Wenigstens haben die Menschen fließend Wasser und vier Wände.
KNA: Wie wird den Menschen dort geholfen?
Ammann: Das katholische Hilfswerk «Pontifical Mission» hat hier für medizinische Einrichtungen gesorgt, an denen sich das Erzbistum Köln beteiligt. Das sind U-förmige Containerkliniken mit Zahnarzt, Augenarzt, praktischem Arzt, Apotheke und so weiter. Außerdem werden Schulen für die Kinder gebaut. Die Menschen haben die Perspektive, langfristig in ihre inzwischen befreiten Städte zurückzukehren. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, alles zu tun, um ihnen die aktuelle Situation zu erleichtern.
KNA: Wie ist die Lage in Jordanien?
Ammann: Hier ist die Situation weit schlimmer. Die Menschen leben seit August in Pfarrzentren, wo etwa der Pfarrsaal mit Planen abgehängt ist, damit jede Familie eine Art Abteil für sich hat. Da kann man sich vorstellen, was für eine Stimmung dort herrscht, die Leute werden krank, weil sie keine Perspektive haben, Depressionen sind keine Seltenheit.
KNA: Wie begegneten Ihnen die Menschen?
Ammann: Es ist schwierig, wenn Leute vor Ihnen stehen, die sagen, «warum kann denn nicht jede Pfarrei in Deutschland bei Ihnen fünf oder zehn Familien aufnehmen?». Diese Frage kommt in praktisch jedem Pfarrzentrum. Dann müsste man den Menschen sagen, dass sie nicht die einzigen sind, und dass Deutschland ja schon Flüchtlinge aufnimmt, auch aus anderen Ländern. Das kann und will ich diesen Menschen aber nicht erklären, weil deren Situation für sich gesehen ganz schlimm ist. Das sind Leute wie wir, die wohnen seit acht Monaten zwischen Zeltwänden.
KNA: Wie funktioniert das Zusammenspiel von Christen und Muslimen in Jordanien?
Ammann: Das ist ganz beeindruckend, auch für die lokalen Partner: Eine solche Hilfsbereitschaft, sowohl von Christen wie auch Muslimen, hätten sie noch nie erlebt, sagten sie mir. Man muss auch bedenken, dass ein kleines Land wie Jordanien enorme Zahlen von Flüchtlingen aufgenommen hat und trotzdem immer noch bereit ist zu helfen - ohne Unterschied zwischen christlichen und muslimischen Flüchtlingen. Es ist gut, das auch mal zu erwähnen.
KNA: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihrem Besuch in Jordanien - auch für Ihre Arbeit im Erzbistum Köln?
Ammann: Wir werden dort jetzt auch in die Hilfe einsteigen, weil ich festgestellt habe, dass viel zu wenige helfen. Laut Angaben des UNHCR sind in Jordanien knapp 50.000 irakische Flüchtlinge, die Mehrheit von ihnen sind Christen. Die Caritas in Jordanien ist sehr aktiv, hat aber zu wenige Mittel. Am dringendsten werden dort Nahrungsmittel gebraucht. Diese bekommen die Menschen über Lebensmittelcoupons, mit denen die Leute sich versorgen können. Diese Aktion werden wir jetzt auch fördern.
KNA: Wie wird das im Erzbistum Köln genehmigt?
Ammann: In einer Projektsitzung habe ich Generalvikar Dominik Meiering meinen Bericht vorgetragen und den Vorschlag gemacht, den Antrag der Caritas Jordanien zu unterstützen. Hier können wir sicher sein: Die Hilfe kommt an. Für die Finanzierung von Lebensmittelgutscheinen, Hygiene, Mietbeihilfe, Kleidung und Decken, sowohl für syrische wie jordanische Flüchtlinge, stellen wir 250 000 Euro bereit. Damit unterstützt die Caritas auch arme jordanische Familien - gut, dass dort nicht nur Flüchtlingen geholfen wird.
KNA: Und im Irak?
Ammann: Dort werden wir 100 000 Euro bereitstellen für ein neues Haus der Dominikanerinnen, dem größten Schwesternorden im Irak. Seit ihrer Flucht leben sie in Erbil in Containern, zugleich kümmern sie sich aber am meisten um Flüchtlinge. Dabei sollen sie unterstützt werden, damit sie weiterhin so aktiv bei den Flüchtlingen sein können. Und für Syrien schließlich sind 100 000 Euro für Mietbeihilfen, Kleidung und Haushaltswaren in Damaskus und Umgebung bewilligt.
KNA: Wie sollten Christen sich hier engagieren?
Ammann: In vielen Ländern der Welt ist es fast ausschließlich die Kirche, die hilft. Es ist ganz wichtig, dass wir hier in Europa das wahrnehmen und uns als Christen solidarisch fühlen. In Deutschland sind wir von unserer Geschichte her darauf trainiert zu spenden, wenn irgendwo Not ist. Aber dass es eine Solidarität der hiesigen Christen mit Christen anderswo gibt, das fehlt. Das haben unsere Partner auch ganz stark bemängelt. Ich möchte damit nicht sagen, dass wir antiislamisch werden sollen, auf keinen Fall! Ich bin überzeugt, dass wir in Deutschland nur dann eine gemeinsame Zukunft gestalten können, wenn wir zusammenarbeiten. Aber wenn irgendwo Christen Unrecht geschieht, sollte uns das nicht weniger tangieren. Wir sollten begreifen, dass wir hier als Glaubensgemeinschaft drangsaliert werden und uns solidarisch erklären. Das ist auch Weltkirche.
Die Fragen stellte Sabine Kleyboldt.
Nadim Ammann war am Mittwoch auch zu Gast in der Sendung "domradio - das Thema" und hat dort von seiner Arbeit erzählt. Die Sendung finden Sie in der angehängten Audio-Datei.