"Mein Leben ist nur die Zeit in Polen." Bemerkungen wie diese hört Bernhard Edmunds immer wieder, wenn er die Lage von Pflegekräften in deutschen Privathaushalten erforscht. Dann stellt sich einmal mehr heraus, wie viele von ihnen faktisch rund um die Uhr im Dienst sind, sieben Tage die Woche, bis zu drei Monate in einem Stück. "Das sind himmelschreiende Zustände", so Edmunds über die Lage dieser "24-Stunden-Kräfte", zumeist Frauen aus dem Osten Europas.
Ihre Situation und die anderer Angestellter in Privathaushalten hat der Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen nun unter die Lupe genommen. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erstellte er zusammen mit weiteren Experten eine 60-seitige Studie unter dem Titel "Wen kümmert die Sorgearbeit? Gerechte Arbeitsplätze in Privathaushalten". Sie soll das Thema wieder auf die Tagesordnung in Gesellschaft und Politik bringen, hofft der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, der die Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz leitet.
Auf dem politischen Parkett wäre es nicht zum ersten Mal. 2011 verabschiedete die Internationale Arbeitsorganisation ILO ein Übereinkommen über "Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte". Nach der Ratifizierung durch den Bundestag gilt es seit vergangenem September auch für Deutschland. Danach sollen bezahlte Tätigkeiten in Privathaushalten als Erwerbsarbeit anerkannt und die dort Angestellten anderen abhängig Beschäftigten gleichgestellt werden.
Doch davon sei Deutschland weit entfernt, rügt Edmunds und verweist auf die 24-Stunden-Pflegerinnen. Nach dem ILO-Abkommen sollen sie mindestens 24 Stunden pro Woche am Stück frei haben. Doch das deutsche Arbeitsrecht lasse mit Blick etwa auf Mitarbeitende in SOS-Kinderdörfern Ausnahmen zu, so der Sozialphilosoph. Er ruft den Bund deshalb auf klarzustellen, dass diese Sonderregelung nicht für die häusliche Pflege gelten darf.
Erheblichen Reformbedarf sieht die Studie jedoch nicht nur bei den im Hause lebenden Angestellten. Auch bei den in Teilzeit beschäftigten Reinigungskräften liegt demnach vieles im Argen. Ihnen bleibt in der Regel nur die Schwarzarbeit, ohne rechtliche Absicherung im Falle von Unfall, Krankheit oder Kündigung. Die Studie empfiehlt unter anderem einen Blick nach Belgien. Dort gibt es subventionierte "Dienstleistungschecks". Damit können Privathaushalte über eine staatliche Agentur Reinigungskräfte anfordern, die bei spezialisierten Unternehmen regulär und unter Einhaltung gesetzlicher Standards beschäftigt sind.
Mit Blick auf die Bereitschaft zu Reformen ist Edmunds allerdings wenig optimistisch. Für die Politik sei die häusliche 24-Stunden-Pflege eine "kostengünstige Lösung" in Zeiten steigender Gesundheitsausgaben. Auch aus Sicht der privaten Arbeitgeber seien solche Arbeitsverhältnisse ein "schönes Arrangement", zumal wenn sie den Angestellten Einkünfte bringen, die sie in ihrer Heimat sonst nicht erreichen könnten.
Bei der Vorstellung der Studie äußerte auch Erzbischof Schick Verständnis für die Nachfrage nach solchen Dienstleistungen in den wohlhabenden Ländern. Er verwies auf die zunehmende Zahl pflegebedürftiger Angehöriger und den wachsenden Anteil der Familien, in denen beide Eltern erwerbstätig sind, die wachsenden Anforderungen an Mobilität und Leistung im Beruf. Vor diesem Hintergrund rief der Erzbischof zu einer stärkeren gesellschaftlichen Wertschätzung der "Sorgearbeit" in der Familie auf. Die "wachsende Versorgungslücke" nur durch ausländische Kräfte zu schließen, wäre auch aus internationaler Perspektive "hochproblematisch", warnte der Leiter der Weltkirchen-Kommission. "Denn wer zur Arbeit nach Deutschland kommt, lässt oft eine Familie in seiner Heimat allein."