Anzeichen für die Entfremdung sei der Gottesdienstbesuch, der in Mainz unter die Zehn-Prozent-Marke gefallen sei, schreibt Lehmann in der jüngsten Ausgabe des Bistumsblatts "Glaube und Leben". Wer nur die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung kenne, könne auf Dauer nicht in der Kirche bleiben. "Man braucht eine gegenläufige Erfahrung, die man fast nur im Leben mit einer Gemeinde machen kann", wirbt Bischof Lehmann.
Gesellschaftlicher Wandel
Zweifellos hätten auch die Ereignisse um den früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst sowie der veränderte Einzug der Kapitalertragssteuer zu Kirchenaustritten geführt, räumt Lehmann ein.
Hauptgrund für die große Zahl der Austritte sei allerdings der gesellschaftliche Wandel in den vergangenen Jahrzehnten. So sei es früher verpönt gewesen, bei Zusammenkünften die Fragen nach dem Kirchenaustritt zu stellen. Derzeit sei es "manchmal geradezu chic, seine Aufgeschlossenheit und Modernität durch den Kirchenaustritt zu beweisen".
Entscheidungen achten
Lehmann plädiert aber auch für einen "ehrlichen Umgang mit dem Kirchenaustritt". Im Unterschied zu vielen Ländern der Welt könnten Menschen in Deutschland frei darüber entscheiden, ob sie einer Religion angehören wollen oder nicht. "Es gibt persönliche Entscheidungen, die wir in jedem Fall zutiefst bedauern, aber auch als freie Entscheidung achten wollen", betont der Kardinal.
Im Bistum Mainz waren im vergangenen Jahr 8.885 Katholiken aus der katholischen Kirche ausgetreten, so viele wie niemals zuvor. Ihnen standen lediglich 371 Eintritte und Wiederaufnahmen gegenüber. Da es auch deutlich mehr Todesfälle als Taufen gab, sank die Zahl der Katholiken im Bistumsgebiet auf unter 745.000. Bundesweit kehrten
2014 knapp 218.000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken, im Jahr davor waren es knapp 179.000.