Vom Flüchtlingsversteck zur Begegnungsstätte

Die Friedensbotschaft von Taize

Taize in Burgund gehört vielleicht zu den friedlichsten Orten der Welt. Doch das war nicht immer so. Das Friedensengagement des Gründers Frere Roger wurzelt im Krieg. Hier versteckte er Notleidende auf beiden Seiten.

Frère Roger bei einem Treffen mit Papst Johannes Paul II. (KNA)
Frère Roger bei einem Treffen mit Papst Johannes Paul II. / ( KNA )

Das kleine Dorf Taize im Süden Burgunds ist seit Jahrzehnten ein Magnet für die Jugend der Welt. Hier suchen und feiern sie ihren Glauben, folgen der Friedens- und Solidaritätsgemeinschaft jener ökumenischen Gemeinschaft, die Frere Roger vor 75 Jahren, am 20. August 1940, mit seiner Ankunft in Taize ins Leben rief. Mitten im Krieg fand der Abenteurer aus der Schweiz hier den Ort für seine Leidenschaft: tätige Nächstenliebe im Vertrauen auf Gott.

Roger Schutz (1915-2005) ist ein Getriebener. Erst spät findet der Sohn eines reformierten Pfarrers zum Glauben - und er muss ihm folgen. Sein wissenschaftliches Theologiestudium in Lausanne und Straßburg ist für ihn mehr Mittel als Freude. Im Zweiten Weltkrieg sucht Roger, zunächst vergeblich, einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können.

Versteck für jüdische und politische Flüchtlinge

Schließlich findet er im Sommer 1940, ganz in der Nähe des untergegangenen mittelalterlichen Reformklosters Cluny, das verfallene Weindorf Taize. Es ist ein heruntergekommener, geistlich verwaister Flecken. Der letzte Pfarrer ist schon lange fort. Viele der Weinbauern waren im Ersten Weltkrieg geblieben. Die Weinberge sind verloren - ebenso wie die letzten Dutzend Bewohner, zumeist Alte und Einsame.

Mit geliehenem Geld kauft Roger eines der Natursteinhäuser im Ort. Nur ein paar Kilometer sind es von hier bis zur Demarkationslinie zwischen dem nazibesetzten Frankreich und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich. Hier versteckt Roger vor den Deutschen jüdische und politische Durchgangsflüchtlinge, die in die Schweiz wollen. In manchen Wochen leben bis zu einem Dutzend Menschen im Haus. Oft kommt die Gestapo zum Verhör - doch immer fliehen die Flüchtlinge rechtzeitig in den Wald. Im Herbst 1942 wird Roger denunziert, das Haus geräumt. Er, der gerade einen Schützling in die Schweiz gebracht hat, kann nicht mehr zurück.

Keimzelle der Brüdergemeinschaft

Nach der Befreiung Frankreichs 1944 dann ein neuer Anlauf. Roger bringt diesmal einige Gleichgesinnte mit; die Keimzelle der künftigen Brüdergemeinschaft. Dazu gehören auch Max Thurian (1921-1996), der theologische Mitbegründer von Taize, und Rogers jüngste Schwester Genevieve Schutz-Marsauche (1912-2007). Alle drei liegen heute, nah beieinander, in einfachen Gräbern vor der romanischen Kirche des Dorfes bestattet.

Mit der Umkehr der politischen Vorzeichen gilt Rogers Engagement nun auch umgekehrt: Jetzt kümmert er sich um deutsche Kriegsgefangene aus der Umgebung und teilt seine Mahlzeiten mit ihnen. Für die Franzosen ein Ärgernis. Einer der Männer, ein schwer kranker Priester, wird von zornigen Kriegswitwen sogar buchstäblich zu Tode geprügelt. Für rund drei Dutzend Kriegswaisen mieten die Brüder zwei weitere Häuser an. Die Mutterrolle übernimmt Genevieve, die zeitlebens in Taize bleibt und, unverheiratet, Mutter und Großmutter von vielen wird.

Harte Zeiten als Nährboden 

Die Zeiten sind hart nach dem Krieg, die Not groß. Doch wahrscheinlich ist es genau dieser karge Nährboden, der die Idee von Taize binnen zwei Jahrzehnten zu einem Welterfolg machen sollte. 1948 erlaubt der Vatikanbotschafter in Frankreich, Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli, später der Papst des Konzils Johannes XXIII. (1958-1963), den protestantischen Brüdern die Nutzung der katholischen Pfarrkirche zum Gebet. Und am Ostersonntag 1949 legen die ersten sieben Brüder ein Gelübde für Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam ab. Sie alle kommen aus Kirchen der Reformation; eine Bindung auf Lebenszeit ist ihnen eigentlich zunächst fremd.

Erst 1953 gibt Frere Roger, der sich viel mit dem klassischen Mönchtum beschäftigt hat, seiner evangelischen Gemeinschaft eine Regel. Die Frage zu Beginn des Aufnahmeritus lautet: "Geliebter Bruder, wonach verlangst du?" - "Nach der Barmherzigkeit Gottes und der Gemeinschaft meiner Brüder", so die Antwort. "Gott vollende in dir, was er begonnen", betet der Prior und läutet damit eine Reihe von Fragen ein, die der Bewerber mit "Ich will es" beantwortet. Seit 1969 leben mit Erlaubnis des Pariser Erzbischofs auch katholische Brüder auf dem Hügel von Taize. 

16. August 2005: Todestag Frere Rogers

Seitdem gilt Taize gilt als ein Symbol der ökumenischen Bewegung. Der Gemeinschaft gehören rund 100 Männer aus 30 verschiedenen Ländern an. Papst Johannes Paul II. empfängt Frere Roger fast jährlich in Privataudienz. Der damalige Kardinaldekan Joseph Ratzinger, den das Konklave kurz darauf zum Papst Benedikt XVI. wählt, reicht dem Protestanten Frere Roger im April 2005 bei der Beisetzungsfeier für Johannes Paul II. die Kommunion; das erregt weltweit Aufsehen. 

Am 16. August 2005 wird Frere Roger, 90-jährig, beim Abendgebet in der Kirche von Taize inmitten von Brüdern und betenden Jugendlichen von einer verwirrten Frau erstochen. Die Gemeinschaft trägt ihn aus der Kirche, die Gemeinschaft setzt das Gebet fort. 

Wachsen statt welken

Manch einer hatte erwartet, dass mit dem Tod des Gründers Frere Roger die Blüte von Taize zu Ende gehen würde. Das Gegenteil scheint der Fall. Noch mehr Jugendliche als früher kommen als Sucher auf den Hügel in Burgund. Die Zelte für Workshops in Taize sind in diesen Tagen brechend voll. Es geht um syrische Flüchtlinge, Migrantenarbeit, Sozialprojekte, Probleme in Vorstädten und vieles mehr. Es ist eingetreten, was manch einer so vor zehn Jahren nicht erwartet hätte: Statt zu welken, scheint Taize zu wachsen, auch innerlich. 

Geleitet wird die Bruderschaft von dem deutschen Katholiken Frere Alois (61). Und noch immer sorgt der Glockenklang aus dem hölzernen Glockengerüst neben dem Empfang dreimal täglich dafür, dass die Jugendlichen die Dinge, die sie gerade tun, ruhen lassen. Die Gebete in der Versöhnungskirche sind der Dreh- und Angelpunkt eines jeden Tages. 


Frère Roger (KNA)
Frère Roger / ( KNA )
Quelle:
KNA