Caritas fordert Konsequenzen aus Flüchtlingsdrama

"Europa muss als Solidargemeinschaft erfahrbar sein"

Nach der Flüchtlingskatastrophe in Österreich fordert der Präsident der Caritas Österreich, Michael Landau, im Interview mit domradio.de eine humanitäre Flüchtlingspolitik Europas. Die Asylverfahren müssten in Sicherheit durchgeführt werden.

Caritas fordert Konsequenzen aus Flüchtlingstragödie / © Herbert P. Oczeret (dpa)
Caritas fordert Konsequenzen aus Flüchtlingstragödie / © Herbert P. Oczeret ( dpa )

domradio.de: Ist dieser schreckliche Fund eine neue Qualität von Skrupellosigkeit und Inhumanität?

Landau (Caritas Österreich): Ich glaube, dieser neue Fund, diese Flüchtlingstragödie auf der Autobahn macht deutlich: Menschen sterben nicht nur im Mittelmeer sondern auch auf den Straßen Europas, auch in Österreich. Und ich glaube, das ist eine weitere Katastrophe, die zeigt, wie dringend es nötig ist, das Europa einen gemeinsamen Plan für Menschen auf der Flucht ins Leben ruft, der der Genfer Flüchtlingskonvention und auch der humanitären Tradition dieses Kontinents entspricht.

domradio.de: Dieser LKW, in dem man die Leichen gefunden hat, hat ein ungarisches Kennzeichen. Ungarn baut diesen langen Stacheldrahtzaun, um Flüchtlinge abzuhalten. Österreich ist ein Nachbarland von Ungarn. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Landau (Caritas Österreich): Ich halte die Entwicklung in Europa zur Zeit für hochproblematisch. Wer die Donau entlang fährt, sieht laufend Ruinen von einst als uneinnehmbar geltenden Festungen. Die Idee der Festung Europa ist aus meiner Sicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es zeigt sich – und das ist auch zunehmend Gegenstand des politischen Gesprächs – dass die bisher geltenden Regeln, etwa Dublin, nicht funktionieren. Ich glaube, Europa muss als Solidargemeinschaft erfahrbar sein und das gilt auch dort, wo es um Menschen auf der Flucht geht. Ich halte es für ganz zentral, dass gerade auch Christen daran erinnern, dass jeder Staat in Europa verpflichtet ist, Menschen in Not aufzunehmen und dass das unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion und ethnischer Zugehörigkeit gilt, wie Kardinal Woelki auch vor kurzem noch unterstrichen hat.

domradio.de: Wir sind von Genfer Konvention und humanitärer Tradition in Europa weit weggekommen, sagen Sie. Sie haben einen Vorschlag, der heißt ganz grob gesagt: Humanitäre Visa. Wie stellen Sie sich das vor, was ist das ?

Landau (Caritas Österreich): Klar ist, wer Schleppern das Handwerk legen will, muss für rasche, sichere Zugänge zu Asylverfahren in Europa Sorge tragen. Ein möglicher Weg, um für besonders verletzliche Gruppen wie etwa Kinder und kranke Menschen einen solchen Zugang zu eröffnen, wäre die Erteilung humanitärer Visa, die dann eine sichere Einreise in die Europäische Union ermöglichen und die es möglich machen, hier in Sicherheit das Asylverfahren durchzuführen. Ich erinnere hier auch an Kilian Kleinschmidt (Kleinschmidt leitete für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR von 2013 bis 2014 das Flüchtlingslager Zaatari im Norden Jordaniens; Anm. d. Red.) mit dem wir zuletzt ein Gespräch zu diesen Themen hatten, der gesagt hat: Vieles spricht dafür, auch die Grenzen kontrolliert zu öffnen. Klar ist auch, zu einem Gesamtkonzept, dass ich derzeit vermisse, gehört ebenso die verlässliche und ausreichende Hilfe für die Menschen vor Ort dazu etwa in den Nachbarländern Syriens, wo mehr als vier Millionen Menschen vor den Schrecken des Bürgerkriegs geflohen sind. Das heißt, wenn es nicht gelingt, den Menschen in ihrer Heimat Sicherheit, Schutz, Perspektive angedeihen zu lassen, dann wird sich der Druck erhöhen, dass sie ihre Heimat auch in Richtung Europa verlassen. Etwa die Kürzungen im Bereich des World Food Programs sind ein solcher Auslöser für Flucht. Klar ist, dass jeder Tote eine Mahnung ist und dass hier zunächst den Opfern und ihren Familien das Mitgefühl gilt, aber dass wir alle gefordert sind, das Sterben an den Grenzen und in Europa endlich zu beenden. 


Quelle:
DR