domradio.de: Welche Situation erleben Sie an der serbisch-mazedonischen Grenze?
Tobias Nölke (Caritas International): Es flüchten jeden Tag ungefähr 2000 Menschen über die Grenze. Sie kommen an der griechisch-mazedonischen Grenze an, nehmen dann für zehn Euro den Zug oder den Bus und kommen dann an der Grenze zu Serbien an. Sie laufen zu Fuß über die Grenze und versuchen dann möglichst schnell in den Norden zu kommen. Richtung Belgrad und Richtung Grenze zu Ungarn.
domradio.de: In welcher Situation sind die Flüchtlinge, die Sie getroffen haben?
Nölke: Die Menschen sind total verzweifelt, müde, erschöpft und ausgelaugt. Die Gesichter sind regungslos, teilnahmslos, emotionslos. Viele Menschen haben viele Nächte nicht geschlafen. Man sieht die rot unterlaufenen Augen und die ausdruckslosen Gesichter. Und insbesondere bei den Familien mit Kindern ist das sehr bedrückend. Man sieht die Eltern, die ihre Kinder teilweise tragen oder hinter sich herziehen. Sie sind alle total erschöpft.
domradio.de: In Wien wird heute darüber diskutiert, wie die EU den Balkanstaaten helfen kann. Was benötigen diese Staaten aus Ihrer Sicht am meisten?
Nölke: Die Menschen brauchen dringend medizinische Versorgung. Die Nächte werden langsam kälter, deshalb brauchen wir hier vor Ort Decken und Schlafsäcke. Die Menschen brauchen Hygieneartikel, insbesondere für Kleinkinder, Babys und Frauen. Aber natürlich auch Wasser und Nahrungsmittel.
domradio.de: Was waren die emotionalsten Momente, die sie in den vergangenen Tagen erlebt haben?
Nölke: Ich war vorgestern in Belgrad in einem Park am Hauptbahnhof, der einer der zentralen Anlaufpunkte für die Flüchtlinge in der Stadt ist. Dort habe ich mit drei Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren gesprochen. Sie haben mir ihre Wunden gezeigt, die ihnen wohl Soldaten in der Türkei zugefügt haben. Sie haben erzählt, sie hätten Bilder aus Ungarn gesehen. Und dann haben sie mich gefragt, warum die Menschen in Ungarn sie schlagen würden. Sie wollten doch nur möglichst schnell durch das Land durchreisen. Sie wollten doch gar nicht dort bleiben. Auf so etwas kann man natürlich immer nur schwer antworten.
Heute bin ich mit einer Familie über die mazedonisch-serbische Grenzen gegangen. Sie haben mir auch erzählt von ihrem Leben in Syrien und gesagt, sie hätten eine ganz normale Arbeit und ein ganz normales Leben gehabt. Sie hätten sich nicht träumen lassen, dass sie von jetzt auf gleich in eine solche Notsituation kommen und nur mit einem Rucksack auf dem Rücken woanders eine neue Zukunft suchen.
domradio.de: Wie hilft denn eigentlich Caritas International auf dem Balkan?
Nölke: Caritas International hat eine langjährige Partnerschaft mit der Caritas Serbien. Wir haben hier eine professionelle Hauskrankenpflege aufgebaut. Und wir setzen jetzt die Hauskrankenpflege-Schwestern ein, um eine medizinische Grundversorgung für die Flüchtlinge sicherstellen zu können. Wir unterstützen die Menschen mit Schlafsäcken, mit Hygieneartikeln, mit Wasser, mit Nahrungsmitteln. Und wir geben den Menschen hier eine Möglichkeit, ihre Handys und Smartphones aufzuladen. Das ist das Kommunikationsmittel nach außen, zu den Familien. Damit erkundigen sie sich, wo die anderen Familienmitglieder sind, und tauschen Informationen über die Route aus. Ganz viel läuft auch über Facebook und Twitter, da spielen sich die Flüchtlingen Informationen darüber zu, wo man am besten lang geht und wo es gefährlich ist.
Das Interview führte Christian Schlegel.