domradio.de: Kirchenasyl soll nach wie vor nur "Ultima Ratio" bleiben, ein letzter Ausweg. Das haben die Kirchen jetzt nochmal bekräftigt. Warum ist diese Form des Asyls denn überhaupt noch notwendig?
Dietlind Jochims (Bundesvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche") :
"Ultima Ratio" heißt ja, dass die Menschen dann ins Kirchenasyl kommen, wenn sie eine Abschiebeanordnung erhalten haben und gleichzeitig Kirchengemeinden, Berater oder Unterstützer denken, dass diesen Menschen durch die Abschiebung Gefahren für ihr Leben drohen oder wenn die Abschiebung aus anderen Gründen unzumutbar ist. Da es immer noch passiert, dass solche Gründe bei einer Abschiebungsandrohung nicht berücksichtigt werden, ist Kirchenasyl nach wie vor eine wichtige Menschenrechtsarbeit.
domradio.de: Im Moment gibt es die Debatte um Bürgerkriegsflüchtlinge und so genannte Wirtschaftsflüchtlinge. Damit gemeint sind überwiegend Menschen aus den Westbalkanstaaten. Treffen Sie auch eine solche Unterscheidung mit Blick auf das Kirchenasyl?
Dietlind Jochims: Grundsätzlich nicht. Es kommen grundsätzlich Menschen ins Kirchenasyl, die in einer großen Gefahr für ihr Leib oder ihr Leben wären, wenn sei abgeschoben werden würden. Das kann auch Menschen aus sogenannten "sicheren Herkunftsländern" passieren. Allerdings gibt es auch eine zweite Überlegung, die angestellt wird. Und diese besagt, dass geschaut wird, welche Perspektiven diese Menschen nach Inanspruchnahme des Kirchenasyls haben. Wenn abzusehen ist, dass sich auch nach dem Kirchenasyl keine Bleiberechtsperspektive bietet, dann hat auch das Kirchenasyl wenig Sinn und Zweck.
domradio.de: Wer bekommt im Moment bei Ihnen Kirchenasyl?
Dietlind Jochims: Momentan gibt es bundesweit rund 300 Kirchenasyle. Die Nationalitäten und die Herkunft sind ganz bunt gemischt. Es gibt einige Kirchenasyle aus den Westbalkanstaaten, viele allerdings aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Somalia und Eritrea. Das sind die Haupt-Herkunftsländer.
domradio.de: Vor einigen Monaten gab es Streit um das Kirchenasyl. Es ging um den Umfang und die Nutzung. Mit Blick auf die Herausforderungen angesichts der zahlreichen Flüchtlinge: Ist der Staat nicht mittlerweile froh über jede Hilfe durch die christlichen Kirchen?
Dietlind Jochims: Das glaube ich schon. Ohne das große kirchliche Engagement für und mit Flüchtlingen sähen wir in Deutschland ganz schön alt aus. Die Frage ist allerdings, ob der Staat das Kirchenasyl als Hilfe betrachtet.
domradio.de: Bundeskanzlerin Merkel hat ja für Syrien das so genannte Dublin-Verfahren ausgesetzt. Halten Sie weitere Erleichterungen für Flüchtlinge in Deutschland für nötig?
Dietlind Jochims: Ich halte es für unbedingt notwendig, dass viele der langwierigen und wenig zielführenden Verwaltungsabläufe noch einmal dahingehend überprüft werden, wie sie mit einer so stark steigenden Zahl von Flüchtlingen funktionieren können. Dazu gehört auch ein unmittelbar notwendiges Überdenken der Dublin-Verordnung. Die hat sich inzwischen vorne, hinten und seitwärts überholt. Da könnte man auch noch ganz anders reagieren, als die Verordnung nur für Angehörige einer bestimmten Nationalität auszusetzen.
Das Interview führte Tobias Fricke