Caritas-Expertin zu Religion und Flüchtlingen

"Kaum Platz für individuelle Bedürfnisse"

Viele Konflikte aus religiösen Gründen in Flüchtlingsunterkünften? Monika Kuntze vom Kölner Caritasverband kann das nicht bestätigen. Bei Streitereien gehe es schlicht um menschliche Probleme und nicht um Nationalitäten oder Religionen.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Muslimin in einer Flüchtlingsunterkunft in Heidelberg / © Uwe Anspach (dpa)
Muslimin in einer Flüchtlingsunterkunft in Heidelberg / © Uwe Anspach ( dpa )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Frau Kuntze, derzeit scheinen sich religiös motivierte Konflikte unter Flüchtlingen zu häufen. Können Sie das aus Ihrer Arbeit bestätigen?

Monika Kuntze (Leiterin des Geschäftsfelds Migration und Integration beim Kölner Caritasverband): Eher nicht. Vielmehr gilt: Je größer und anonymer die Unterkunft ist, desto negativer kann das die Stimmung beeinflussen. Wenn man mit 600 Menschen in einem Baumarkt oder mit 400 Menschen in einer Turnhalle untergebracht ist, hat man zwar ein Dach überm Kopf, Essen und ein Bett. Für individuelle Bedürfnisse bleibt aber kaum Platz. Es herrscht eine ständige Geräuschkulisse, man bekommt alles vom Nachbarn mit, das Licht wird zentral ein- und ausgeschaltet, für die Mahlzeiten muss man Schlange stehen. Diese Form des Zusammenlebens ist für Menschen, die zum Großteil traumatisiert oder krank sind, extrem schwer auszuhalten. In dieser Unterbringungsform kann es leicht zu Konflikten kommen. Dabei spielt die Religionszugehörigkeit nach unserer Wahrnehmung aber eine sehr kleine bis gar keine Rolle.

KNA: Wie können die Menschen überhaupt in so einer Situation ihre Religion ausüben?

Kuntze: Das ist oft schwierig. Solche Massenunterkünfte sind nur für einen Übergang gedacht. Die Realität sieht aber ganz anders aus: Die Verweildauer wird immer länger, weil es wenig Alternativen gibt. Aber gerade Traumatisierte brauchen Ruhe und Rückzugsorte, um einfach mal für sich zu sein und auch ihre Religion auszuüben. Das gilt nicht nur für gläubige Muslime, die ja fünfmal am Tag beten.

KNA: Sollte man Flüchtlinge getrennt nach Religion unterbringen?

Kuntze: Das halte ich für genauso wenig sinnvoll und notwendig wie die Aufteilung nach Nationalitäten. Konflikte wird es immer geben. Wir hatten einmal zwei Familien aus Tschetschenien, die mussten wir trennen, weil sie sich überhaupt nicht vertragen haben. Wir neigen dazu, Konflikte auf Nationalität oder Religion zurückzuführen. Es geht aber oft schlichtweg um menschliche Probleme. Das kann damit angefangen haben, dass sich jemand bei der Essensausgabe in der Reihe vorgedrängelt hat. 

KNA: Wie kann man solchen Konflikten vorbeugen?

Kuntze: Am dringendsten ist eine bessere Unterbringung, weil dadurch die Integration wesentlich schneller vorangetrieben werden kann. Eine Unterkunft mit 600 Menschen ist auch durch Sozialarbeiter nicht mehr vernünftig zu managen. In kleineren Wohneinheiten kann man sich mit den einzelnen beschäftigen. Wenn die Erwachsenen durch Deutschkurse gefördert werden, die Kinder in Schule oder Kita gehen, da sind die Menschen zufriedener.

KNA: Wie bewusst ist den - vor allem muslimischen - Flüchtlingen, dass sie es bei der Caritas mit einer katholischen Organisation zu tun haben?

Kuntze: Ich bin sicher, dass die meisten das sehr gut wissen, auch die Neuankömmlinge. Das funktioniert schlichtweg über das Informationsmedium Smartphone. Das ist kein Luxus, sondern ein wichtiges Kommunikationsinstrument, gerade auf der Flucht. Wir bekamen zum Beispiel einen Anruf von einem Menschen aus Izmir, der sagte: «Ich will nach Deutschland, ich weiß, dass die Caritas mir hilft, wie komme ich von Izmir nach Deutschland?». 

KNA: Was haben Sie ihm gesagt?

Kuntze: Wie die Realität ist, dass das nämlich extrem schwierig ist und er nicht über die serbisch-ungarische Grenze kommen wird. Er sagte dann, er wolle es über Kroatien oder über Italien probieren. Wir versuchen aber nicht, die Leute vom Kommen abzuhalten. Die Motivation zur Flucht ist riesig, es ist für die Menschen die einzige Alternative.

KNA: In Köln und andernorts engagieren sich auch muslimische Gemeinden für Flüchtlinge, indem sie zum Beispiel Gebetsteppiche in die Unterkünfte bringen und Menschen bei Behördengängen begleiten. Was sagen Sie dazu?

Kuntze: Das kann ich nur begrüßen. Ich finde es aber auch längst überfällig, dass die Moscheegemeinden sich hier öffnen. Ich glaube, dass die Hilfsbereitschaft dort genauso groß ist wie in der Mehrheit der Bevölkerung. Wir würden gerne auch mit den Moscheegemeinden zusammenarbeiten.


Quelle:
KNA