domradio.de: Was hat sich die Kanzlerin davon versprochen, Sie und Kirchenvertreter einzuladen und um sich zu versammeln? Was war Ihr Eindruck?
Dr. Peter Neher: Es war ein sehr offenes Gespräch. Es nahmen ja auch nicht nur Kirchenvertreter, sondern Vertreter aus allen gesellschaftlich beteiligten Gruppen teil. Die Gesamtsituation wurde noch einmal dargestellt. Der Innenminister hat die Lage geschildert und die Teilnehmer konnten in sehr offener Weise ihre Punkte, ihre Anliegen und ihre Kritikpunkte deutlich zur Sprache bringen.
domradio.de: Was hat die Kanzlerin denn gesagt? Gab es Durchhalteparolen an Sie, die bei der Flüchtlingsaufnahme ja sehr stark engagiert sind?
Dr. Peter Neher: Nein. Die Kanzlerin ist in solchen Situationen sehr unprätentiös und sehr klar. Sie hat noch einmal deutlich gemacht, dass sie sich nicht an einem Wettbewerb beteiligt, wer die Flüchtlinge am schlechtesten in Europa behandelt. Angela Merkel steht zu ihrem Wort, dass wir eine besondere Situation haben, die dieses Handeln notwendig gemacht hat. Sie hat natürlich auch großes Interesse daran gezeigt, wie wir diese Notlage bewältigen können. Zugleich richtet die Kanzlerin ihr Augenmerk auch auf die Ansätze für diejenigen, die bleiben dürfen, um eine Integration zu schaffen. Das hat sie ohne Durchhalteparolen moderiert, aber natürlich mit ihrem Ansatz "Wir schaffen das" untermauert.
domradio.de: Das Engagement ehrenamtlicher Helfer ist ja erfreulicherweise hoch. Nur irgendwann wird die Begeisterung vermutlich ganz von alleine abflauen. Wie sind da Ihre Strategien, um weiter das Ehrenamt aufrecht zu erhalten?
Dr. Peter Neher: Mir war es bei meiner Wortmeldung auch noch einmal wichtig, die Wertschätzung des Ehrenamtes deutlich zu machen. Aber wir sollten nicht darauf hinarbeiten, alles nur mit Ehrenamtlichen bestreiten zu können. Ehrenamtliche brauchen Unterstützung und eine professionelle Begleitung. Gerade in den Erstaufnahmestellen ist es extrem anstrengend und manchmal auch situativ kritisch. Da können wir die Ehrenamtlichen nicht allein lassen. Wenn wir von einer Strategie reden, dann brauchen wir die professionelle Unterstützung, damit den Ehrenamtlichen nicht die Luft ausgeht.
domradio.de: Das Kabinett hat nun das Gesetzespaket zum Asylrecht auf den Weg gebracht, unter anderem soll es zukünftig möglichst Sach- statt Geldleistungen geben. Was halten Sie von diesem Gesamtpaket?
Dr. Peter Neher: In dem Gesamtpaket sind einige gute Ansätze enthalten. Vor allem, wenn es um die Integration derer geht, die bei uns bleiben dürfen. Aber es gibt einige Stellen, die sind inakzeptabel. Dazu gehört beispielsweise die Umwandlung von Geld- zu Sachleistungen. Das verhindert nämlich zum einen, dass Asylbewerber für den persönlichen Bedarf Dinge organisieren und kaufen können. Zum anderen ist es eine Schwächung der eigenen Persönlichkeit, weil sie überhaupt nicht lernen können, in unserer Gesellschaft mit Geld umzugehen. Schließlich ist es auch noch ein riesiger Verwaltungsaufwand, wenn auf die Sachleistungen umgestellt werden soll. Ich empfinde diese Geschichte eigentlich als recht populistische Maßnahme, die völlig unnötig die Menschen schikaniert und an der Stelle nichts bringt.
domradio.de: Nun wird Angela Merkel ja einerseits für die große Bereitschaft sehr gelobt, tausenden Flüchtlingen in Deutschland helfen zu wollen. Auf der anderen Seite kommt Kritik an einem blauäugigen Stil aus den eigenen Reihen. Macht sie es, wie sie es macht, falsch?
Dr. Peter Neher: Ich finde diese Kritik völlig unangemessen. Sie macht es nicht blauäugig. Ich glaube, sie sieht sehr klar die Herausforderung und sie hat sich jetzt für den Weg entschieden, dass die Flüchtlinge bei uns auch einen Platz bekommen. Wir haben hier ganz klare gesetzliche Regelungen, die auch für jene umgesetzt werden müssen, die aus wirtschaftlicher Not heraus bei uns eine Zukunft suchen. Wir müssen überlegen, wie die Wirtschaftskraft gerade auf dem Balkan gestärkt werden kann. Wir können uns überlegen, wie wir junge Leute von dort ausbilden, um sie für die Arbeit in der Heimat fit zu machen. Die Kanzlerin braucht an dieser Stelle die politische Unterstützung und die der Organisationen, denn es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich bin sicher, dass es uns gemeinsam gelingt. Aber dazu braucht es die Energie von ganz, ganz vielen Menschen und deshalb ist nicht hilfreich, ihr vorzuwerfen, sie wäre zu nachsichtig gewesen. Das stimmt so einfach nicht.
Das Interview führte Tobias Fricke