Familie des französischen Koma-Patienten streitet seit Jahren

Vincent Lambert bleibt am Leben

Seit über zwei Jahren ringt die Familie öffentlich um Leben oder Sterben des Koma-Patienten Vincent Lambert. Die Mediziner haben sich gegen den Abbruch der Nahrungs- und Wasserzufuhr entschieden - und bekommen nun Recht.

Autor/in:
Kerstin Bücker
Wachkoma-Patient Vincent Lambert  / © Photopqr/L'union De Reims (dpa)
Wachkoma-Patient Vincent Lambert / © Photopqr/L'union De Reims ( dpa )

Klagen vor dem Verwaltungsgericht und dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, öffentliche Anschuldigen, Internet-Kampagnen für das Sterbenlassen und Schmährufe von traditionalistische Katholiken dagegen - der Fall des Koma-Patienten Vincent Lambert hat die französische Gesellschaft mehr als zweieinhalb Jahre beschäftigt. Die Ärzte haben sich dafür entschieden, die lebenserhaltenden Maßnahmen weiter fortzuführen - und bekamen am Freitag Recht vom Verwaltungsgericht in Chalons-en-Champagne. Lambert bleibt am Leben.

Nach dem sogenannten Leonetti-Gesetz von 2005 ist den Ärzten die Entscheidung über ein Therapieende überlassen, wenn der Patient selbst keinen Willen mehr bekunden kann. Beihilfe zur Selbsttötung ist dagegen verboten.

Chronologie zur Grundsatzdebatte

Wie kam es zu dieser Grundsatzdebatte? Bei einem Motorradunfall am 29. September 2008 zieht sich Lambert schwere Kopfverletzungen zu. Er fällt ins Koma - und bleibt seitdem in diesem Zustand. Manchmal bewegt er die Augen. Ob er versteht, was die Mediziner im Krankenhaus in Reims sagen, ist nicht sicher. Einer seiner Ärzte spricht von möglicherweise "minimalem Bewusstsein".

Anfang 2013: Lambert sträubt sich nach Einschätzung der Ärzte gegen eine Weiterbehandlung. Körperliche Reaktionen zeugten von Schmerzen des Patienten, heißt es. Deshalb wollen sie Lambert sterben lassen. Seine Ehefrau Rachel ist einverstanden. Die künstliche Ernährung wird eingestellt; Lambert bekommt noch 200 Milliliter Wasser pro Tag zugeführt.

"Vincent gehen zu lassen, ist mein letzter Liebesbeweis", sagt seine Frau damals. "Ich wusste, dass es ein Leben war, dass er so nicht wollte." Rachel Lambert ist, wie auch ihr Mann, ausgebildete Krankenpflegerin. Schriftlich festgehalten hatte Vincent eine solche Willensbekundung nie.

Die Eltern sind mit der Entscheidung der Ärzte nicht einverstanden. Sie und zwei der acht Geschwister klagen vor dem Verwaltungsgericht in Chalons-en-Champagne. Die Ärzte müssen die künstliche Ernährung wieder aufnehmen. Rachel Lambert berichtet, sie habe einen Brief der traditionalistischen Piusbruderschaft erhalten - eine Gemeinschaft, der ihre Schwiegereltern nahestehen. Sie sagt, man werfe ihr vor, den Tod ihres Mannes zu betreiben.

Auch öffentlich kritisieren Lamberts Eltern Rachel und die Ärzte. Sie werfen ihnen vor, ihren Sohn zu quälen, indem sie ihm Nahrung verweigern. Ende 2013 beginnt der behandelnde Arzt Eric Kaiger eine öffentliche Kampagne, um das Leben Lamberts zu beenden. Eine Gruppe von Medizinern entscheidet erneut, die Ernährung einzustellen. Wieder protestieren die Eltern, wieder spricht das zuständige Gericht ihnen im Januar 2014 Recht zu. Im Urteil heißt es, es sei nicht sicher, ob der Patient tatsächlich keine lebensverlängernden Maßnahmen wolle.

Entscheidung vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof

Lamberts Ärzte reagieren empört. Rachel klagt vor dem obersten französischen Verwaltungsgericht. Dieses entscheidet im Juni 2014, die lebenserhaltenden Maßnahmen dürften beendet werden. In einem Eilantrag wenden sich die Eltern daraufhin an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Die Einstellung der lebensverlängernden Maßnahmen verstoße gegen das Recht auf Leben und das Verbot menschenunwürdiger Behandlung, argumentieren sie. Die Ernährung wird per einstweiliger Verfügung wieder aufgenommen. Lamberts Arzt Eric Kariger tritt im August 2014 zurück - der Druck der Öffentlichkeit sei ihm zu groß.

Im Juni 2015 entscheiden die Straßburger Richter zugunsten passiver Sterbehilfe und bestätigen damit geltendes französisches Recht. Der Menschenrechtsgerichtshof lehnt den Wunsch der Eltern auf eine Überprüfung des Urteils ab. Lambert wird vorerst weiter in dem Krankenhaus in Reims gepflegt. Die neue behandelnde Ärztin Daniela Simon lädt die Familie im Juli zu einem Gespräch ein, bevor sie eine Entscheidung fällen will. Die Eltern verklagen die Klinik Reims daraufhin wegen versuchten Mordes. Ihr Sohn werde nicht ausreichend behandelt, sagen sie. Ende Juli teilt Simon überraschend mit, Vincent Lambert solle weiter ernährt und gepflegt werden. Sie kündigt an, sich mit dem Fall an das Gesundheitsministerium zu wenden.


Quelle:
KNA