domradio.de: Wie genau äußern sich diese Anfeindungen gegen ihre Mitarbeiter?
Jochen Brühl: Das ist zum Glück vor allen Dingen verbaler Natur. Tafelhelfer und der Bundesverband geraten in deutliche Kritik, dass sie sich um Menschen kümmern, die zu uns kommen und Schutz und Hilfe suchen. Wir merken, dass sich die Tendenzen mehren, die sagen, man habe in Deutschland genug arme Menschen, um die man sich besser kümmern sollte. Gleichzeitig soll die Hilfe und die Arbeit für die Leute unterlassen werden, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
domradio.de: Von wem kommen diese Hasstiraden? Was sind das für Leute?
Jochen Brühl: Das sind sogenannte "Gutbürger", Menschen, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen und sicherlich auch aus Kreisen, die rechte Tendenzen haben. In den letzten Wochen hat das zugenommen und wir nehmen das zur Kenntnis. Aber wir wollen das nicht passiv zur Kenntnis nehmen, sondern ganz deutlich auf diese Umstände und Missstände aufmerksam machen. Deshalb reden wir auch darüber. Als Bundesverband stellen wir uns ganz eindeutig auf die Seite der über 60.000 Helferinnen und Helfer, die am Rande der Belastbarkeit diese zusätzliche Herausforderung annehmen. Zu uns kommen die Menschen, die in Not sind. Da machen wir keine Unterschiede. Aber wir machen Unterschiede, wenn man dieses Verhalten und diese Mitmenschlichkeit an den Pranger stellt. Dagegen setzen wir uns zur Wehr.
domradio.de: Beobachten Sie denn auch so etwas wie einen Verteilungskampf zwischen Obdachlosen und Flüchtlingen?
Jochen Brühl: Die Tafeln sind ja vor 22 Jahren angetreten, um auf das Thema Armut aufmerksam zu machen. Natürlich wollen wir nicht nur drüber reden und wollen nicht nur Missstände anklagen, sondern jeden Tag ganz praktisch unterstützen. Das ist auch ein Appell an die Politik, sich um die Menschen zu kümmern, sie zu integrieren und zur Teilhabe an der Gesellschaft zurückzuführen. Das Thema Flüchtlinge ist für uns ein Teilbereich der Unterstützung, genauso wie Alleinerziehende oder Rentnerinnen und Rentner. Wir lassen uns da nicht von einer Gruppe gegen die andere Gruppe ausspielen. Wir haben das, was wir haben und das verteilen wir an alle, die zu uns kommen. Und wenn nichts mehr da ist - wir sind eine Ehrenamtsbewegung, die das freiwillig macht - dann müssen wir sagen, dass wir nichts mehr haben. Wir sind keine staatliche Organisation, sondern eine Bürgerbewegung, die den Überfluss an die Leute weitergibt, die im Mangel sind.
domradio.de: Geben Sie Ihren Leuten denn auch Hilfen, wie Sie mit Anfeindungen umgehen sollen?
Jochen Brühl: Das hat zwei Seiten. Wir haben einerseits einen Fond gegründet, "Tafel-Leben-Integration-Hilfe für Flüchtlinge", um gerade dieses Thema aufzufangen. Da gibt es verschiedene Hilfsangebote, wie zum Beispiel auch bestimmte Übersetzungen, die die Tafelarbeit betreffen. Wir versuchen Mitarbeiter auch zu schulen. Es gibt also ein breites Hilfsangebot für die Tafeln. Gleichzeitig fordern wir den Staat aber auf, sich nicht auf diese ehrenamtliche Arbeit zu verlassen. Der Staat muss die Rahmenbedingungen schaffen und die ehrenamtliche Unterstützung fördern, indem sie Mittel zur Verfügung stellt, um Ehrenamtliche zu schulen. Wir sind nicht der verlängerte Arm des Staates, sondern Bürger einer Zivilgesellschaft, die sich einsetzt.
domradio.de: Haben Sie denn eine Strategie, wie Sie die Herausforderungen der nächsten Zeit stemmen wollen? Sie arbeiten jetzt ja schon am Rande der Belastbarkeit.
Jochen Brühl: Stemmen tun wir das, weil wir ein hohes Maß an sehr engagierten Menschen haben. Aber das ist nicht bis zum Letzten ausreizbar. Wir müssen natürlich auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen. Wir wollen nicht der verlängerte Arm der Politik werden und Dinge kompensieren. An bestimmten Stellen muss man dann auch sagen, dass es an bestimmten Tafeln ein Aufnahmestopp gibt. Das betrifft ja nicht nur die Flüchtlinge, sondern alle. Bei manchen Tafeln haben wir einen Tageszugang von 50 Prozent. Das ist eine riesige Herausforderung, gerade wenn es auch um traumatisierte Flüchtlinge oder um Sprachprobleme geht. Da kommen wir auch an Grenzen und müssen diese Grenze auch respektieren und die Ehrenamtlichen schützen. Wir wollen dazu beitragen, dass dieses Thema in der Gesellschaft zielführend gelöst wird. Es nützt nichts, nur immer zu diskutieren. Ich erlebe einen ganz großen Zuspruch von Menschen, die sagen, dass die Arbeit großartig sei und es als positiv empfunden wird, das Thema öffentlich zu machen. Wir sind ja nicht nur Lebensmittelverteiler. Da laufen Gespräche und man nimmt nicht die Flüchtlinge sondern den persönlichen Menschen wahr. Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige integrative Aufgabe, die die Tafeln da leisten.
Das Interview führte Aurelia Rütters