Tunjas Erzbischof Luis Augusto Castro wusste nicht so recht, wohin mit seinem Zorn über das Gerichtsurteil. Deshalb nahm der Vorsitzende der Kolumbianischen Bischofskonferenz gleich den ganzen Gerichtshof in die Verantwortung: "Das ist schlicht und einfach eine Beleidigung gegen die Kirche", erklärte Castro aufgebracht.
Urteil sieht ganze katholische Kirche Kolumbiens in der Verantwortung
Es geht um die rechtliche und finanzielle Verantwortung für Missbrauchsfälle katholischer Geistlicher in dem südamerikanischen Land. Castros leugnet nicht, dass es sexuellen Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter gab - aber diese Taten seien das individuelle Fehlverhalten einzelner Geistlicher und nicht der katholischen Kirche als Institution anzurechnen. "Wie viele Lehrer haben sich zum Beispiel an Schülern vergriffen, und noch nie wurde deshalb das Bildungsministerium oder die Regierung belangt", argumentiert Castro.
Das sieht Kolumbiens Oberster Gerichtshof allerdings anders. In einem Präzedenzurteil entschied er diese Woche über einen katholischen Priester, der sich an zwei Jungen vergangen hatte. Bereits im November 2008 wurde Luis Enrique Duque deswegen zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Mittlerweile sitzt der Geistliche, der zwischenzeitlich ausgebüxt war, seine Haftstrafe in Medellin ab.
Obendrein sollte Duque auch noch Schadenersatz in Höhe von umgerechnet rund 150.000 Euro an die Familie der Opfer zahlen. Ein solches Vermögen aber hatte der Priester nicht. Auch die Kirche weigerte sich, für den Schaden aufzukommen.
Kirche haftet für ihren Mitarbeiter
Nun stellte die kolumbianische Justiz in letzter Instanz klar, dass die Kirche für ihren Mitarbeiter haften muss. Das Gericht argumentierte, dass ein Pfarrer aufgrund seiner Tätigkeit für die Kirche ein besonderes gesellschaftliches Vertrauern genieße. Weil er dieses Vertrauen als Vertreter der Kirche missbraucht habe, sei diese haftbar.
Der landesweit beachtete Fall löste eine emotional geführte Debatte aus und warf die Frage auf, ob es in der katholischen Kirche einen institutionellen Missbrauch gibt oder nicht. Nein, sagt Jaime Arrubla Paucar, ehemaliger Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs, in seiner Deutung des Urteils. Die Kirche müsse auch nach diesem Gerichtsentscheid nicht für grundsätzlich für Missbrauchsfälle einzelner Priester haften. Dies müsse stets im Einzelfall entschieden werden.
Jose Gregorio Hernandez, ehemaliger Vorsitzender des Verfassungsgerichtes, sieht die Kirche dagegen sehr wohl in der Verantwortung. Er kenne Fälle, in denen sie Missbrauch habe vertuschen und totschweigen wollen. Daher sei es folgerichtig, dass die Justiz auf diese Problematik geantwortet habe.
Kirche sieht Vergehen als individuelle Taten an
Genau eine solche Haftung als Institution aber lehnen zahlreiche Bischöfe in Kolumbien ab. In einem Interview mit dem Sender Caracol erklärte Pereiras Bischof Rigoberto Corredor, die Verantwortung für die Taten müssten die Täter selbst tragen. Es handle sich um individuelle Straftaten, die von Einzelpersonen begangen worden seien und die deshalb auch individuell geahndet werden müssten.
Zurzeit sind in Kolumbien 18 Fälle von Geistlichen bekannt, denen schwerer Kindesmissbrauch vorgeworfen wird. Mitunter sollen Kirchenvertreter versucht haben, die Geschehnisse zu verheimlichen. In den anhängigen Gerichtsverfahren drohen nun ebenfalls Schadensersatzforderungen.
Die Missbrauchsskandale, durch die Kolumbiens Kirche schwer erschüttert worden ist, sind noch längst nicht alle aufgearbeitet - weder juristisch noch gesellschaftspolitisch. Das Urteil nimmt die Institution noch stärker in die Verantwortung. Sie wird bei der Auswahl ihres künftigen Personals viel genauer hinsehen müssen. Denn zumindest augenblicklich sieht es so aus, dass die Kirche in Kolumbien für ihre Priester haften muss.