Katholisches Büro Dresden zu einem Jahr Pegida

"Deutlich radikaler geworden"

Seit nunmehr einem Jahr protestiert die Pegida-Bewegung in Dresden. In den letzten Wochen erhielt sie wieder vermehrt Zuspruch. Dabei ist eine deutliche Radikalisierung zu beobachten, wie Christoph Pötzsch gegenüber domradio.de berichtete.

Pegida-Demonstration am 12.10.15 in Dresden / © Bernd Settnik (dpa)
Pegida-Demonstration am 12.10.15 in Dresden / © Bernd Settnik ( dpa )

domradio.de: Pegida marschiert heute Abend wieder in Dresden. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor, rechnet mit einigen tausend Demonstranten. Was erwarten Sie von heute Abend?

Christoph Pötzsch (Leiter des katholischen Büros in Dresden): Ich habe ein ausgesprochen ungutes Gefühl. Die ganze Sache hat sich in den letzten Wochen radikalisiert. Die Sprüche werden schärfer, die Plakate werden größer und unappetitlicher und überschreiten auch nach meiner Ansicht die Grenze des Rechts. Ich muss aber auch sagen, dass ich der Gegendemonstration mit Besorgnis entgegen sehe. Ich halte es nicht für besonders hilfreich, in diesem Kontext eine Demonstration mit einer Gegendemonstration zu beantworten. Das hat es hier im vergangenen Jahr bereits mehrfach gegeben und erfolgreich war es nicht gerade. Da werden in der Regel Sprechchöre ausgetauscht und Plakate mit Argumenten in vier bis fünf Worten hochgehalten. Das sind nicht meine Veranstaltungen. Die Straße ist nach meiner Auffassung in einer Demokratie nicht der Ort des Meinungsdiskurses. Es kann durchaus sein, dass man sich dort radikalisiert. Unser Innenminister Markus Ulbig hat seinen Urlaub unterbrochen und ist heute hier vor Ort und wir wollen sehen, dass es den Sicherheitskräften gelingt, die beiden Seiten voneinander zu trennen.

domradio.de: Die katholische Kirche beteiligt sich an der großen Gegendemonstration nicht. Wie positionieren Sie sich denn gegen diese rechts angehauchten Proteste?

Christoph Pötzsch: So ist das nicht ganz richtig. Ich hatte gesagt, dass ich persönlich nicht mitgehe. Es ist ja die Freiheit eines jeden Christen, das selbst zu entscheiden. Ich persönlich habe als Mensch die Auffassung, dass das für mich nicht das ansprechende Veranstaltungsformat ist.

domradio.de: Sie rufen aber als Kirche nicht offiziell zur Teilnahme auf, oder?

Christoph Pötzsch: Ja, so ist es. Es gibt viele Katholiken, die mitgehen. Ich für meine Person gehe nicht. Wir haben als katholische Kirche von Beginn an und als Pegida noch in den Kinderschuhen steckte, versucht, das Gespräch zu finden. Wir haben zusammen mit den Kollegen der evangelischen Kirche und der Staatskanzlei vor gut einem Jahr versucht, Gesprächsformate zu finden, weil wir der Meinung waren, dass man mit den Leuten reden muss, wenn sich ein solches Potential äußert und ein hohes Maß an Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt. Es waren ja zur Hauptzeit mehr als 20.000 Menschen bei Pegida. Da muss man natürlich sehen, dass dies nicht nur eine Horde von wildgewordenen Nazis war, sondern auch die bürgerliche Mitte mitgeht. Die Gesprächsforen sind uns nur in Maßen gelungen.

domradio.de: Woran liegt es, dass das nicht gelungen ist? Und warum hat sich überhaupt der Ton der Pegida-Bewegung so verschärft? Ich denke nur an die Galgen, die man in der vergangenen Woche bei der Demonstration gesehen hat.

Christoph Pötzsch: Zu Ihrer ersten Frage, warum es uns nicht gelungen ist, ein Gespräch zu institutionalisieren: Es ist vor allem im Frühjahr und Frühsommer von unserer Landesregierung sehr gut gemacht worden, indem man Räume wie das große Kongresszentrum angemietet und für Gespräche geöffnet hat. Es waren 300-400 Leute da und es konnte und wurde miteinander gesprochen. Das hat aber insofern nichts gebracht, weil die Themen, die die Leute auf die Straße getrieben haben, eigentlich bundespolitische Themen sind und darauf kann die Landesregierung keine Antwort geben. Man muss auch wissen, dass Pegida ja nicht nur den Kampf gegen die Islamisierung des Abendlandes führt. Pegida ist eine Melanche, die sich aus einer allgemeinen Unzufriedenheit zusammensetzt. Da sind Themen wie die Finanzkrise, Eurorettung, Griechenlandverschuldung, Multi-Kulti, Syrienkrieg, arabischer Frühling, Genderpolitik bis hin zur Rechtschreibreform dabei. Das sind alles Themen, bei denen die Leute sagen, sie werden nicht abgeholt und vor vollendete Tatsachen gestellt. Da muss man reden.

domradio.de: Welche Rolle spielt in dieser Gemengelage denn die Flüchtlingskrise?

Christoph Pötzsch: Die hat in den letzten Wochen und Monaten das Ganze noch einmal deutlich "nach vorne" gebracht. Es gab zwischendurch mal ein Abflauen und es hat sich eine Gruppe von Pegida abgespalten, der sogenannte bürgerliche Kern. Dadurch ist es zunächst zu einer Verkleinerung von Pegida gekommen und zu einer Radikalisierung. Der Flüchtlingsstrom wirft nun Fragen auf, die schwierig zu beantworten sind. Das hat Pegida neue Unterfütterung gegeben. Jetzt sind bei Pegida auf dem Podium in vorderster Front Leute, die das anheizen. Das bereitet mir große Bauchschmerzen, wenn man da einem Mann folgt, der sich bei Facebook in einem Selfie mit Hitlerbärtchen präsentiert. Das ist jenseits des Akzeptablen.

domradio.de: Sie meinen damit Lutz Bachmann?

Christoph Pötzsch: Natürlich.

domradio.de: Am Samstag gab es ein Messerattentat auf Kölns aussichtsreichste Oberbürgermeister-Kandidatin - ausgeführt durch einen offensichtlichen Sympathisanten rechter Parteien, also im Grunde PEGIDA-ähnlicher Gesinnung. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Christoph Pötzsch: Institutionell kann ich mich da nicht äußern. Aber natürlich ist das ein Ausdruck der Radikalisierung der Gesellschaft. Das macht mir große Sorgen. Ich bin froh, dass es in Dresden bisher einigermaßen gewaltlos abgegangen ist. Aber wenn so etwas wie in Köln passiert, dann ist es natürlich ganz entsetzlich. Ich möchte aber noch einen Gesichtspunkt hinzufügen, der mir wichtig erscheint: Alle Welt schaut jetzt auf Dresden und Sie sprechen aus Köln mit mir in Dresden und fragen mich, was hier los ist. Ich erinnere an den Sommer 2014, als Pegida noch nicht auf die Straße gegangen ist. Da hatten wir in Sachsen Landtagswahl. Die Wahl ging abends mit einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent zu Ende. Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Ich meine, Pegida ist überall, auch in Köln. In Dresden geht man auf die Straße. Sie haben gestern Pegida mit einer Beteiligung von 40 Prozent erlebt. Pegida ist ein Ausdruck von Demokratieverdrossenheit. Wir haben offensichtlich ein schweres Problem mit Demokratie und diese den Menschen zu vermitteln. Ich hätte heute genauso bei Ihnen in Köln anrufen können und Sie fragen können, was bei Ihnen los ist.

Das Interview führte Hilde Regeniter


Quelle:
DR