domradio.de: Heute ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Und gerade bei kriegerischen Auseinandersetzungen sind Frauen noch mal besonders benachteiligt. Warum ist das so?
Dr. Heide Mertens (Leiterin der Abteilung Politik/Gesellschaft bei der Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) beim Bundesverband in Düsseldorf): Viele der Flüchtenden kommen aus Kriegsgebieten, in denen geschlechtsspezifische Gewalt Teil der Kriegsstrategie ist. Wenn wir auf den Irak und Syrien schauen, wo der IS die Menschen dazu bringt, zu fliehen, dann sehen wir ganz genau, dass Gewalt gegen Frauen Teil ihres Plans ist. Ähnlich ist es beispielsweise bei den Auseinandersetzungen im Kongo und anderen Gegenden. Aber auch, wenn Frauen aus anderen afrikanischen Ländern kommen, kann es sein, dass eine Ursache der Flucht geschlechtsspezifische Gewalt war. Entweder haben sie schon etwas erlitten oder fliehen vor etwas. Wir sehen ja auch die Bilder aus den großen Flüchtlingslagern in den Nachbarländern oder aus den Booten, in denen die Menschen zusammengepfercht sitzen oder in Zügen, wenn sie bereits auf der Flucht sind. Dabei kann es sein, dass Frauen Gewalt ausgesetzt sind. Das kann man sich ganz klar vorstellen, vor allem, wenn sie alleine als Frauen oder Mütter mit ihren Kindern fliehen. Da sind die Gefahrensituationen noch einmal ganz andere als bei jungen Männern.
domradio.de: Sind die Frauen denn in Flüchtlingsunterkünften dann in Sicherheit?
Dr. Heide Mertens: Worauf wir gerne aufmerksam machen würden, ist, dass man das, was ich gerade geschildert habe, im Hinterkopf hat. Wir wissen nicht, was die Frauen erlitten haben, erfahren haben und mitbringen. Sie werden auch nicht als allererstes darüber reden. Es kann sein, dass manche die Erfahrungen gemacht haben und manche nicht. Worauf wir aufmerksam machen möchten, ist, dass man sensibel ist gegenüber geflüchteten Frauen und dass man in den häufig beengten Aufnahmeeinrichtungen darauf achtet und den Frauen eine Privatsphäre einräumt. Es sollten dort auch Frauenbereiche eingerichtet werden, in die sie sich zurückziehen können. Zudem gibt es ja auch noch die kulturellen Unterschiede. In manchen Kulturen ist es nicht üblich, dass man sich umziehen muss oder waschen muss, wenn in unmittelbarer Nähe Männer sind. Ich weiß, wie schwierig es in vielen Aufnahmelagern ist, wie viel Arbeit darin steckt und wie wenig vorbereitet manchmal das Personal ist. Es sollten aber Mindeststandards eingeführt werden, um Frauen einfach zu schützen. Hier in Deutschland haben wir seit vielen Jahren das Hilfe-Telefon für Gewalt gegen Frauen, wo in 15 Sprachen beraten wird. Wir sehen darin eine Minimumanforderung, dass in den Aufnahmelagern diese Nummer zugänglich gemacht wird oder darauf hingewiesen wird, dass Frauen sich dort zur Not auch melden können. Das Personal sollte für diese Fragen wenigstens sensibilisiert sein.
domradio.de: Welche Erfahrungen machen Sie denn mit dem Nottelefon? Melden sich auch weibliche Flüchtlinge bei Ihnen?
Dr. Heide Mertens: Das weiß ich nicht. Das Nottelefon ist ja eine Einrichtung des Bundesfamilienministeriums. Die machen zurzeit auch wieder anlässlich des Tages "Nein zu Gewalt gegen Frauen" Werbung für den Service. Aber ich weiß, dass die Zahl der Anrufe steigt und dass man dort Auskunft in vielen verschiedenen Sprachen bekommt. Auch Helfer können im Zweifel dort anrufen und sich beraten lassen.
Das Interview führte Verena Tröster.