Als die Gruppe zur stillen Meditation ansetzt, heult draußen eine Sirene. "Oh mein Gott, was passiert jetzt?", denkt Romy Bierwirth und beginnt, sich unwohl zu fühlen. Die 28-Jährige aus Niedersachsen sitzt auf dem blanken Fußboden eines Messezelts mitten in Valencia. Dicht an dicht reihen sich vor ihr die anderen Jugendlichen auf. Und hinter ihr. Und neben ihr. Es sind Tausende junger Christen, die miteinander singen, Gott loben und Gemeinschaft feiern. Und Tausende junger Menschen, die Romy für einen kurzen Moment in Gefahr sieht.
15.000 Europäer reisten von auswärts ein
Es gab weniger Anmeldungen zum diesjährigen Taize-Treffen als in den Jahren zuvor. Zwar nahmen an den ökumenischen Begegnungstagen über den Jahreswechsel nach Schätzungen der Organisatoren rund 25.000 Menschen teil, aber nur 15.000 Europäer waren von auswärts angereist.
"Die Franzosen hatten nach den November-Anschlägen wohl Angst zu kommen", vermuten ein paar Deutsche. Das will der Presseverantwortliche der Gemeinschaft, Frère Benoit, zwar nicht bestätigen. Aber er weiß auch, dass eine ganze Reisegruppe aus Weißrussland abgesagt hat, weil die Eltern Angst um ihre Kinder hatten.
Romy ist zu dem christlichen Treffen gekommen, um Solidarität zwischen den Nationen zu feiern und für den Frieden zu beten. Während des Alarms gibt sie sich einen Ruck, erzählt sie später. "Ich hab mir gedacht: 'Mensch, das kann überall passieren'". Und sie ist sich sicher: "Das ist ein christliches Treffen. Gott beschützt uns." Ob es verschärfte Sicherheitsmaßnahmen als Reaktion auf die allgemein angespanntere Lage gegeben hat? "Nein", sagt Frère Benoit, "aber wir stehen natürlich in ständigem Austausch mit den Verantwortlichen der Stadt." Er weiß, dass die Polizei Präsenz zeigt; allabendlich dreht sie ihre Runde vor den Zelten.
Sonnenstrahlen zu Silvester
Die vielen Ordnungshüter sind auch Christian Oelschlegel aufgefallen, als er in Valencia ankam. Der Student sitzt beim Mittagessen im Turia-Park. Auch hier tummeln sich Tausende Taizé-Teilnehmer, die sich wie Christian in vielsprachigen Gruppen zusammengesetzt haben und die Sonne genießen. Wenn Christian gleich zum Mittagsgebet ins Zelt möchte, werden Jugendliche seinen Rucksack unter die Lupe nehmen und Security-Personen einen wachsamen Blick auf die Menge werfen.
Unwohl ist dem Studenten bei dem Prozedere nicht - im Gegenteil: "Ich bin da optimistisch", sagt Christian. Angst habe er keine. "Der Gedanke war ja, sich durch die Attentate von Paris nicht einschüchtern zu lassen, sondern den europäischen Weg weiterzugehen."
Damit erfüllt Christian einen Wunsch des Priors der Taizé-Gemeinschaft, Frère Alois Löser. "Wir möchten der Angst widerstehen", hat der Ordensbruder den Jugendlichen bei einem seiner Abendgebete mit auf den Weg gegeben und ihnen erzählt, wie Christen im kriegszerstörten Homs Weihnachten gefeiert haben - trotz und gerade wegen Angst vor Terror und Gewalt. Frère Alois will, dass die Jugendlichen "Menschen des Friedens" werden. In Zeiten von Krieg in Nahost und Krisen in Europa sollen sie die jungen Menschen einen klaren Blick bewahren und Mut entwickeln, Mut zu Barmherzigkeit und Solidarität mit Menschen in Bedrängnis.
Romy lebt schon Solidarität. Am Silvester-Nachmittag steht sie mit vier anderen Deutschen vor den deutschsprachigen Teilnehmern des Taizé-Treffens und erzählt von ihrem Einsatz für Flüchtlinge. "Es ist ein großartiges Gefühl, die ganze Zeit an der richtigen Stelle zu sein und auch als Christin tätig zu sein." Seit Anfang dieses Jahres unterrichtet Romy eine Sprachlernklasse an einem Gymnasium - 16 Kindern mit unterschiedlichen Religionen und aus verschiedenen Kulturen bringt sie nun Deutsch bei. Taizé gebe ihr die Kraft für den Job, der mitunter auch anstrengend sei, sagt Romy. "Ich habe mich gefreut, einen solchen Jahresausklang zu haben, der so viel Zeit für Stille und Reflexion hat." Und diese Freude wiegt stärker als Romys Angst vor einem Großtreffen wie diesen. Sie wird wieder an den Taizé-Treffen teilnehmen. Nächstes Jahr vielleicht in Riga.