domradio.de: Inwiefern hat dieser Konflikt mit dem Iran tatsächlich etwas mit den Verschiedenheiten der islamischen Konfessionen, dem schiitischen und dem sunnitischen Islam etwas zu tun?
Mouhanad Khorchide (Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster): Wenn wir uns die jetzige Lage im arabischen Golf anschauen, gibt es da politische Spannungen und das schon seit 1979, seit der iranischen Revolution. Damals ist bei den arabischen Ländern Angst entstanden, dass der Iran nun Ansprüche stellt auf die Heiligen Stätten in Mekka und in Medina. Es ist also ein politischer Konflikt, es sind politische Spannungen, bei denen es um Machtansprüche geht. Saudi-Arabien sieht sich als Hegemonialmacht in dieser Gegend und Iran auf der anderen Seite sieht sich auch in dieser Rolle. Es ist eigentlich ein Kampf um die Machtansprüche in der arabischen Golfregion zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Zufällig ist Saudi-Arabien ein sunnitisches Land und der Iran ein schiitisches und deshalb werden beide Konfessionen instrumentalisiert.
domradio.de: Wie groß sind die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten eigentlich ganz praktisch im Nahen Osten? Geht das zum Beispiel, dass ein Schiit und Sunnit nebeneinander ohne Probleme wohnen?
Khorchide: Es war über viele Jahrhunderte eine Selbstverständlichkeit, dass Sunniten und Schiiten miteinander leben zum Beispiel im Libanon, wo ich selbst geboren bin. Dort sind die Hälfte der Muslime Sunniten und die andere Hälfte Schiiten. Ich kenne das aus meiner eigenen sunnitischen Familie. Zwei meiner Onkel sind mit schiitischen Frauen verheiratet. Das war in den 70er bis in die 80er Jahre eine Selbstverständlichkeit. Man hat auch nicht nach der Konfession gefragt. Im Irak war es genauso. Sunniten und Schiiten haben über viele Jahrzehnte friedlich miteinander gelebt - bis Bürgerkriege gekommen sind - sei es im Libanon oder im Irak oder in anderen Ländern. Sie haben diese Konfessionen gegeneinander aufgehetzt und die Konfessionen politisch instrumentalisiert. Wenn es um Machtansprüche geht zwischen Familien, die Sunniten oder anderen Familien, die Schiiten sind, dann nicht weil es um Sunnitentum oder Schiitentum geht, sondern weil es um einen Machtanspruch geht.
Die politischen Konflikte, die wir heute erleben, brauchen eine politische Lösungen und man muss dringend die Religion und auch die Konfessionen außen vor lassen, um Religion zu schützen vor diesem Missbrauch.
domradio.de: Sie selbst sind Professor für islamische Religionspädagogik in Münster, sozusagen zuständig für alle Glaubensrichtungen des Islam. Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie konfrontiert, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen Schiiten und Sunniten geht?
Khorchide: Wir haben in Deutschland oder überhaupt in Europa einen vielfältigen, heterogeneren Islam als in den Kernländern des Islams, wo im Iran über 90 Prozent Schiiten sind oder in Saudi-Arabien über 95 Prozent nur Sunniten. Wir hier haben hier eine Vielfalt. Auch innerhalb des Sunnitentums oder Schiitentums gibt es sehr unterschiedliche Schulen, sie alle leben hier auf engstem Raum zusammen.
Wir bilden ja Religionslehrer für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland aus, da sitzen im Religionsunterricht in derselben Klasse Sunniten und Schiiten, auch Angehörige unterschiedlicher Schulen. Das ergibt die Herausforderung an die Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht, wie man mit dieser Vielfalt umgeht. Da geht es nicht, um richtig und falsch. Wenn der Lehrer sunnitisch ist, da geht es nicht darum zu erzählen, ja, so ist es richtig und die anderen sind falsch oder umgekehrt, sondern es geht hier darum Bewusstsein zu schaffen, gerade bei den Jugendlichen, für den respektvollen Umgang mit der Vielfalt.
Wenn man sich das in der Theologie anschaut, gibt es kaum Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten. Es geht im schiitischen Islam nur um den Glauben an die Imame als unfehlbar von Gott gesetzte Nachfolger des Propheten - diesen Glaubensgrundsatz gibt es im sunnitischen Islam nicht. Ansonsten gibt es so gut wie keine Unterschiede zwischen beiden Konfessionen, so dass man ohne weiteres auch miteinander auskommen kann und auch sollte - in Anerkennung der Vielfalt.
Das Interview führte Christian Schlegel.