Am 21. September 2015 kam am Flughafen Köln/Bonn - an der sogenannten Drehscheibe - der erste Zug mit Flüchtlingen an. Seitdem kommt alle vier Tage ein Zug - mit Menschen, die meist die Route über den Balkan hinter sich haben und direkt von der österreichischen Grenze kommen. Tanja Schmieder und ihr Team, die Gruppe "City of hope Cologne", haben innerhalb von wenigen Monaten eine Kleiderkammer am Flughafen aufgebaut. Um die Flüchtlinge schnell mit dem Nötigsten versorgen zu können, bevor sie weiterreisen. Viele von ihnen werden per Bus in Flüchtlingsunterkünfte gebracht. Manche reisen auf andere Faust weiter.
"Unser Ziel ist: Kein Gast verlässt unser Gelände mit nassen Füßen", erzählt Tanja Schmieder im Interview mit domradio.de. Jeder solle Socken und Schuhe bekommen, betont die 41-Jährige im Gespräch mit Hilde Regeniter.
"Ich tue das alles aus tiefstem Herzen"
Die Hilfe mache sie selbst glücklich, sagt Schmieder, die früher als Key-Account-Managerin in einem Wirtschaftsunternehmen gearbeitet hat. "In meinem alten Job ging es nur um Geld. Durch die Flüchtlingsarbeit hat sich mein Denken verändert, sind für mich ganz andere Werte wichtig." Ihre alte Arbeit hat Schmieder an den Nagel gehängt. Neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit an der Drehscheibe arbeitet sie jetzt hauptberuflich in einem Flüchtlingsheim der Johanniter. "Ich tue das alles aus tiefstem Herzen", sagt die Mutter einen fünfjährigen Sohnes.
Auch, weil die Rückmeldungen, die sie bekommt, von Herzen kommen. "Die Reaktion auf unsere Hilfe am Flughafen ist: 'Wir sind froh, in Deutschland angekommen zu sein und hier herzlich empfangen zu werden'", betont Schmieder. Deshalb will sie den ehrenamtlichen Helfern bei der Einweisung eines besonders vermitteln: Eine freundliche Begrüßung. "Ein Lächeln zur Begrüßung ist oft wichtiger als eine neue Hose."
"Manche kommen mit Bisswunden"
Viele der Menschen, die am Flughafen ankommen, sind hoch traumatisiert. Schmieder erzählt von Eltern, die ihre Kinder auf der Flucht verloren haben. "Manche kommen mit Bisswunden, weil Bauern in Bulgarien Hunde auf sie gehetzt haben." Manche Geschichten bleiben der Helferin besonders in Erinnerung. Wie die von einem syrischen Vater mit seinen fünf Kindern. Alle fünf wollten unter keinen Umständen ihre Wollmützen abnehmen. Denn alle fünf wurden in Aleppo von einer Fassbombe am Kopf verwunden. "Bei einigen steckten noch die Fäden in den Wunden."
Schätzungsweise 300 ehrenamtliche Helfer arbeiten am Flughafen Köln/Bonn. Aber auch am Kölner Hauptbahnhof stranden viele Flüchtlinge hilflos. Die, die vom Flughafen aus alleine weiterreisen, werden von den Helfern zum Hauptbahnhof begleitet. Und auch um die, die Tag für Tag und Nacht für Nacht aus anderen Richtungen am Bahnhof ankommen, kümmern sich die Ehrenamtler. "Denn jeder von uns könnte doch in die Situation kommen, dass er Hilfe braucht", meint Schmieder. "Dann ist es gut jemanden zu haben, der sagt: ‚Ich helfe dir auf die Beine!‘"
"Verantwortlich war eine Minderheit"
Tanja Schmieder war in den letzten Monaten viele Nächte am Hauptbahnhof im Einsatz für Flüchtlinge - auch in der Silvesternacht, in der die Übergriffe auf Frauen passiert sind, über die in Deutschland heftig diskutiert wird. Das großes Chaos geherrscht habe, habe sie mitbekommen, erinnert sich Tanja Schmieder. Die Situation sei sehr unübersichtlich und sehr bedrängend gewesen, auch für die Flüchtlinge. "So etwas darf nie wieder passieren und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden", fordert Schmieder.
Die 41-Jährige warnt jetzt vor rechter Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. "Laut Polizei waren nicht nur Flüchtlinge für die Übergriffe verantwortlich, sondern auch Deutsche und unter anderem ein US-Amerikaner. Gruppierungen aus der organisierten Kriminalität seien zudem jede Nacht am Hauptbahnhof. "Verantwortlich war eine Minderheit und das muss man klarstellen", betont Schmieder. Viele Flüchtlinge schämten sich dafür, dass derartiges passiert sei, berichtet die Helferin.
Warteraum dringend gesucht
Die bedrohliche Situation in der Silvesternacht hat Schmieder eines noch einmal vor Augen geführt: Die Helfer brauchen dringend einen geschützten Raum, in dem die Flüchtlinge auf ihre Anschlusszüge warten können. Der eigentliche Warteraum an Gleis 1 des Bahnhofs hat nur 23 Sitzplätze und ist eigentlich nicht nur für Flüchtlinge vorgesehen, sondern auch für Normalreisende. Deshalb sei man händeringend auf der Suche nach Notunterkünften.
Ein Modellprojekt in Zusammenarbeit mit dem Erzbistum Köln war da eine "schöne Erfahrung". Das Generalvikariat hatte seine Konferenzräume geöffnet, um Flüchtlinge dort übernachten zu lassen. Trotzdem betont Schmieder: "Der beste Fall für uns wäre, einen großen Raum zu haben, der auch mit Schlafmöglichkeiten ausgerüstet ist. Damit die Menschen nicht - wie im Generalvikariat - auf dem Boden schlafen müssen."
"Jeder kann helfen"
Abhilfe schafft immerhin privates Engagement. Nach einem Facebook-Aufruf haben 33 Menschen aus Köln spontan ihre Gästezimmer für die Flüchtlinge gestellt. "Sie nehmen die Flüchtlinge über Nacht auf und nach dem Frühstück geht´s zurück zum Bahnhof", erklärt Schmieder.
Überhaupt geht bei den Ehrenamtlern so gut wie nichts ohne Facebook. Sie organisieren sich über eine Facebook-Gruppe und dort können sich auch diejenigen informieren, die selbst helfen wollen - an der Drehscheibe am Flughafen, im Kleiderlager, als Spnder von Lebensmitteln, Kleidung oder Geld oder als Helfer am Hauptbahnhof. "Möglichkeiten", sagt Tanja Schmieder, "gibt es genug."