Druck auf Kardinal Barbarin wächst

Frankreichs Primas in der Ecke

Von einem "'Spotlight' auf Französisch" spricht der Pariser "Figaro", in Anspielung auf den jüngst prämierten US-Missbrauchsfilm. Im Scheinwerferlicht: der Kardinal von Lyon. Der bittet um Sachlichkeit - wohl vergeblich.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Unter Druck: Kardinal Philippe Barbarin / © Harald Oppitz (KNA)
Unter Druck: Kardinal Philippe Barbarin / © Harald Oppitz ( KNA )

Die mediale Maschinerie ist angerollt. Da ist es wohl vergebens, wenn Frankreichs Primas Kardinal Philippe Barbarin bittet, man möge die Untersuchungsbehörden "in Ruhe ihre Arbeit tun lassen" seine Rechte, seine Ehre und die Unschuldsvermutung wahren. Er habe immer auf der Seite der Opfer gestanden. Der Druck wächst, und der Vorwurf der Missbrauchsvertuschung steht weiter im Raum. Am Dienstag hat sich nun - ungewöhnlich genug - Ministerpräsident Manuel Valls zu Wort gemeldet, um noch eine Schippe draufzulegen.

Valls fordert, Verantwortung zu übernehmen

Unerwartet deutlich sagte Valls dem Radiosender RMC: "Es braucht jetzt Taten, Gesten - und dass der Primas Verantwortung übernimmt." Er sei zwar kein Richter, so der Regierungschef, "aber ein Mann der Kirche, ein Kardinal, Primas von Frankreich, der einen moralischen und intellektuellen Einfluss hat und eine hohe Verantwortung in unserer Gesellschaft trägt, muss den Schmerz der Opfer verstehen". Er müsse nun "Verantwortung übernehmen; er muss sprechen und handeln".

Worum geht es? Dem Erzbischof von Lyon wird vorgeworfen, einen Priester nicht suspendiert zu haben, dem sexueller Missbrauch eines damals 16-Jährigen vorgeworfen wird. Die Details sind unappetitlich: Der inzwischen 42-jährige Kläger, als Pierre bezeichnet und heute ein ranghöherer Ministerialbeamter, wirft dem Pfarrer Jerome Billioud vor, 1990 bei einer Ferienfreizeit in Biarritz auf ihn masturbiert zu haben. Er sei lange Zeit traumatisiert gewesen und habe mit niemandem darüber sprechen können. Als er sich 2009 an die Justiz wandte, wurde die Klage wegen Verjährung fallengelassen.

Dabei ist der Geistliche bei den Behörden kein Unbekannter. Zu Beginn der 2000er Jahre wurde er zu einem Monat Haft auf Bewährung wegen Exhibitionismus in betrunkenem Zustand verurteilt. Anfang 2011 machte er Schlagzeilen, als er gemeinsam mit der rechtsmonarchistischen Action Francaise einen Gedenkgottesdienst an die Hinrichtung König Ludwigs XVI. auf der Guillotine feierte. Der Zeitung "Figaro" sagte Billioud, er könne sich nicht mehr an die Nacht in Biarritz erinnern. Man möge sich mit Nachfragen an Kardinal Barbarin wenden.

Voruntersuchung wegen "Nichtanzeige eines Verbrechens"

Das hat der Kläger bereits getan. Mitte Februar wandte er sich erneut an die Behörden. Und er wird nun neu angehört; eine Voruntersuchung wegen "Nichtanzeige eines Verbrechens" gegen Barbarin wurde eingeleitet. "Pierre" gibt an, im persönlichen Gespräch habe der Kardinal 2009 freimütig eingeräumt, genau über den Fall Bescheid zu wissen und die Fakten anzuerkennen, was Billioud angehe.

Er sei fassungslos gewesen, so der Kläger, dass Barbarin den Vorfall dennoch weder den Strafbehörden mitgeteilt noch Billioud aus der Seelsorge und aus der Nähe zu Kindern entfernt habe. "Der Kardinal wollte die Sache unter den Teppich kehren - aber jetzt fliegt sie ihm um die Ohren." Er selbst könne die Vorfälle von 1990 und 2009 nicht vergessen, sagt "Pierre" - und kein Vertrauen mehr zur Kirche fassen. Seine beiden Kinder, sechs und acht Jahre alt, seien nicht getauft, und er wolle sie auch nicht zu den Pfadfindern lassen.

Schatten über Vollversammlung der französischen Bischofskonferenz

Es sind diese Geschichten, die die Kirche seit der Jahrhundertwende immer wieder nachhaltig und global Vertrauen kosten. Die hochkochenden Vorwürfe gegen Frankreichs Primas dürften auch die an diesem Dienstag begonnene Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in Lourdes prägen.

Der Vorsitzende, Erzbischof Georges Pontier von Marseille, hat den Lyoner Erzbischof noch am Wochenende in einem Interview verteidigt. Er wisse, dass Barbarin in seinen Diözesen Moulins (1998-2002) und Lyon streng gegen Missbrauchsfälle eingeschritten sei. Auf der Seite der Opfer zu stehen, müsse auch der Kurs der Kirche in Frankreich bleiben.

Bislang hat der 65-jährige Barbarin einen möglichen Rücktritt ausgeschlossen. Allerdings war Frankreich bisher von einer regelrechten Missbrauchswelle wie in Irland, den USA, Belgien, Österreich oder Deutschland verschont geblieben. Diese Wellen wiesen gewisse Gesetzmäßigkeiten auf. Der Ministerpräsident des laizistischen Frankreich hat am Dienstag ein Fass aufgemacht.


Quelle:
KNA