Auf Knien erklimmen sie langsam die Treppenstufen - 28 Stück. Es gibt viele Arten, an Karfreitag an das Leiden und Sterben Jesu zu erinnern. In Jerusalem etwa gehen Christen auf der Via Dolorosa den Leidensweg von Jesu Verurteilung bis zum Kreuz und zu seinem Begräbnis nach. Auf den Philippinen gibt es farbenprächtige Umzüge, dort geißeln sich aber auch Gläubige oder lassen sich sogar in einer umstrittenen Zeremonie ans Kreuz schlagen.
Bonner Kreuzberg Karfreitags-Mittelpunkt
In der früheren Bundeshauptstadt Bonn geht es deutlich harmloser, aber mitunter ebenfalls anstrengend zu. Dort ist der Kreuzberg einer der Karfreitags-Mittelpunkte: mit seiner Heiligen Stiege, die manch einer eben auf Knien, in Gebet und Meditation versunken, emporsteigt.
Heilige Stiegen
In einzelnen Stufen der Treppe von Baumeister Balthasar Neumann sind Reliquien von Heiligen eingearbeitet. Diese 1751 fertiggestellte Treppe ist ein Nachbau der berühmten Scala Santa in Rom, auf der auch der spätere Reformator Martin Luther (1483-1546) als Pilger hinaufgerutscht ist. Und es gibt sie in Deutschland nicht nur in Bonn, sondern etwa auch im bayerischen Bad Tölz. Dort befindet sich auf dem Kalvarienberg eine Heilige Stiege, ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert. Beide Exemplare gehören zu barocken Kirchenensembles. Eine weitere Heilige Stiege findet man in Lenggries, ebenfalls in Bayern.
Erklimmen auf Knien
Das Vorbild in Rom soll aus dem Haus des Pontius Pilatus in Jerusalem stammen. Diese Treppe soll Jesus der Überlieferung nach vor seiner Verurteilung hinaufgestiegen sein. Auch auf der römischen Treppe erklimmen fromme Pilger auf Knien und in Demut die Stufen. Das Ersteigen ist mit Ablässen verbunden.
"Menschen suchen etwas", sagt der Direktor des Kreuzberg Zentrums in Bonn, Dietger Kuller, auf die Frage, warum sich heute Menschen dieser Mühe unterziehen. "Manchmal spürt ein Mensch, dass er sich klein machen muss. Er spürt, dass er klein ist vor dem großen Gott."
Manch einer wolle sich in der Vorbereitungszeit auf Ostern selber vorbereiten, so Kuller. Die Gläubigen hätten Anliegen, die sie selbst oder auch andere Menschen beträfen. Sie dächten: "Die Anstrengung schenke ich dem lieben Gott."
Hunderte Menschen vollziehen Ritual
An Karfreitag kämen über den Tag verteilt Hunderte Menschen aus der Region, um entweder die Mitteltreppe auf Knien zu ersteigen oder die Stufen auf der linken und rechten Seite nach oben zu gehen, berichtet der Direktor. Dort steht ein Altar mit Jesus als Erlöser am Kreuz. Angeboten würden auch Meditationszettel, sagt Kuller. Allein im vergangenen Jahr habe man gut 700 solcher Papiere benötigt.
Andreas Spöttl, Kaplan des Pfarrverbandes Bad Tölz, spricht von einer besonderen Intensität. Es sei möglich, beim Erklimmen der Stiege "ganzheitlich" zu beten, unter Einbezug von Körper und Seele. Meist seien Menschen im Alter von etwa Mitte 50 auf den Knien unterwegs, zuweilen aber auch deutlich jüngere Pilger, die die lokalen Traditionen schätzten.
Der 33 Jahre alte Kaplan sagt, auch er selbst habe diese Tradition schon praktiziert. "Man betet etwas intensiver." Auf jeder Stufe habe er an ein Anliegen gedacht. Es sei gut, als Mensch etwas zu tun, zumal man sich oft hilflos fühle, so Spöttl. Was nicht bedeute, dass Gläubige nach der Anstrengung des Rutschens einen Anspruch darauf hätten, dass ihre Gebete erhört würden.
Denn bekanntlich geht es beim Gebet ja nicht um Leistung - auch, wenn man einmal nicht mit den Füßen eine Treppe ersteigt. Kaplan Spöttl räumt denn auch ein: "Am Ende tun schon die Knie weh."