"Unsere Projektpartner wissen nicht, ob die von ihnen geplanten Seminare, Friedens- und Menschenrechtsfortbildungen auch stattfinden können", erklärte der Brasilien-Referent des katholischen Hilfswerks, Norbert Bolte. "Keiner weiß, ob selbst bereits zugesagte Förderungen auch ausbezahlt werden."
Verlierer einer "weit verbreiteten Korruption" seien die Armen. Darauf hätten bereits die brasilianischen Bischöfe hingewiesen. Bolte betonte: "Adveniat steht hinter der Auffassung der Brasilianischen Bischofskonferenz, dass nur grundlegende politische Reformen die Krise des Landes beenden können." Ebenso wie für die brasilianischen Bischöfe stehe auch für Adveniat mit Sitz in Essen fest: "Es braucht eine grundlegende politische Reform, die zu einer effektiven politischen Teilhabe des Volkes, einer klaren Gewaltenteilung und glaubwürdigen öffentlichen Institution führt."
Sturz in greifbarer Nähe
Rousseff wird unter anderem vorgeworfen, Haushaltszahlen geschönt zu haben. Von dem Amtsenthebungsverfahren gegen sie profitierten "vorwiegend Politiker, gegen die bereits Verfahren wegen Korruption laufen", so Adveniat. "Gerade in den ersten Jahren hat sie kompromisslos selbst Minister beim entsprechenden Verdacht beurlaubt und auf gerichtliche Klärungen gedrungen - auch in der eigenen Partei." Diese Haltung habe den Widerstand derjenigen provoziert, die ihre Macht schwinden gesehen hätten.
Am Sonntagabend votierten 367 von 513 Abgeordneten für Rousseffs Absetzung, weit mehr als die erforderlichen zwei Drittel. Ein Sturz der Präsidentin an der Spitze einer Mitte-Links-Regierung ist damit in greifbare Nähe gerückt.
Entscheidung liegt beim Senat
Das letzte Wort hat der Senat. Zuerst wird eine Kommission und danach das Plenum des Oberhauses über die Annahme des Verfahrens entscheiden. In beiden Abstimmungen, die innerhalb der kommenden vier Wochen stattfinden sollen, reicht der Opposition eine einfache Mehrheit. Medienberichten zufolge wird diese erreicht.
Stimmt auch der Senat gegen Rousseff, muss sie ihr Amt für maximal 180 Tage ruhen lassen, während der Senat unter Leitung des Obersten Gerichts die Sachlage erneut prüft. Danach könnte der Senat die Präsidentin mit einer Zweidrittelmehrheit endgültig absetzen.
Gegenseitige Anfeindungen
Die Debatte in der Abgeordnetenkammer fand in sehr angespannter Stimmung und unter ständigen gegenseitigen Vorwürfen der verfeindeten Lager statt. Am Ende brachen Rousseffs Gegner in lang anhaltenden Jubel aus und feierten das Abstimmungsergebnis mit Gesängen. Die regierende Arbeiterpartei PT gestand ihre Niederlage ein, kündigte aber an, weiter gegen die Amtsenthebung zu kämpfen. In großen Städten des Landes gingen am Sonntag Zehntausende Demonstranten für und gegen Rousseff auf die Straße.
Oppositionsführer Aécio Neves kommentierte das Ergebnis als "Sieg für Brasilien und die Demokratie". Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der die Sitzung leitete und das Amtsenthebungsverfahren im Dezember angestoßen hatte, erklärte, Brasilien sei in der Talsohle angelangt. "Jetzt ist es notwendig, so schnell wie möglich neue politische Stabilität zu schaffen", sagte Cunha. Er selbst ist wiederum der ranghöchste Politiker, der sich wegen des Petrobras-Skandals vor Gericht verantworten muss.
Rousseff lehnt Rücktritt weiter ab
Im Namen der Präsidentin erklärte Bundesstaatsanwalt José Eduardo Cardozo, dass Rousseff trotz der Niederlage nicht zurücktreten werde. Sie sei Opfer eines Komplotts geworden. "Deswegen wird sie weiterkämpfen und der Gesellschaft zeigen, dass auf die schwer erkämpfte Demokratie nicht verzichtet werden kann", sagte Cardoso im Anschluss an die Parlamentsentscheidung.
Rousseff, die seit 2011 regiert, hatte zuletzt ständig an Rückhalt verloren. Mehrere Koalitionsparteien wandten sich von der Regierungschefin und ihrer Arbeiterpartei PT ab. Sollte das Amtsenthebungsverfahren vorankommen, würde bereits im Mai Vizepräsident Michel Temer von der PMDB das höchste Staatsamt übernehmen. Dann könntte Rousseff auch die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro im August nicht eröffnen.