Politiker auf dem Katholikentag in Leipzig

Sucht, wo ist der Mensch?

Dass die große Politik zu Katholikentagen kommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. In den vergangenen Jahren waren das immer Auftritte vor viel Publikum. In Leipzig deuteten sich Veränderungen an: Bislang blieben viele Plätze leer.

Symbolisch frei gehaltener Platz / © Jan Woitas (dpa)
Symbolisch frei gehaltener Platz / © Jan Woitas ( dpa )

"Wir sind das Volk" - mit diesem Ruf gingen 1989 die Menschen in Leipzig auf die Straßen, um gegen die Enge des DDR-Regimes zu demonstrieren. Heute, mehr als 25 Jahre später, schotten sich mit der gleichen Parole die Sympathisanten der islam- und asylkritischen Legida-Bewegung gegen die weite Welt ab. Gegen "die da oben", die Politiker, und die da unten, die Flüchtlinge.

In diese Situation hinein sollte der 100. Katholikentag in der Messestadt ein Zeichen des Dialogs setzen, wie es der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) formulierte. Das Experiment Leipzig war so gesehen ein doppeltes: Da war das Wagnis eines Glaubenstreffens in einem weitgehend entchristlichen Umfeld. Und da waren die Möglichkeiten zur Begegnung mit Politik in einer, wohlwollend formuliert, politikfernen Umgebung.

Leere Plätze bei Diskussionen mit Politikern

Die Politiker - sie kamen, wie eigentlich immer zu solchen Events. Aber: Kam auch das Volk? Die Fanfarenklänge zu Beginn der großen Podiumsveranstaltungen erinnerten ein wenig an den Einzug der Gladiatoren. Doch die Massen schienen sich nicht unbedingt immer für das Spektakel zu interessieren. Halbleere Hallen bei Auftritten von Politikern selbst bei einem "Zugpferd" wie Bundespräsident Joachim Gauck bleiben in Erinnerung, so als manifestiere sich hier eine Distanz zwischen Gewählten und Wählern.

Dabei waren durchaus wichtige Themen zu verhandeln. Viele Politiker, allen voran Bundespräsident Joachim Gauck, warnten vor einer Spaltung der Gesellschaft. "Diejenigen, die mit Ängsten ihr politisches Süppchen kochen, um Hetze zum Normalzustand zu erklären, von denen trennen wir uns gänzlich ab", sagte Gauck. Bundestagspräsident Norbert Lammert forderte in Deutschland und Europa mehr Solidarität beim Thema Flüchtlinge - nach innen und nach außen.

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) warnte davor, in der Flüchtlingspolitik Staat und Zivilgesellschaft gegeneinander auszuspielen. Andere Podien widmeten sich etwa den Steuertricks von großen Unternehmen - mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) - oder den Chancen und Risiken der Fortpflanzungsmedizin - mit CDU-Vize Julia Klöckner.

Es fehlten: Merkel und die AfD

Auch vermeintlich Abseitiges wurde gestreift: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zeigte sich erfreut über die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland, ein Thema, dass viele Mitbürger im Osten offenbar bewegt. Er halte den Wiedereinzug des Wolfs in seine alten Reviere für eine "sehr schöne Entwicklung", sagte Woidke. "Das zeigt, dass nach 250 Jahren auch der Naturraum in Deutschland wieder in Ordnung kommt."

Wer oder was fehlte? Angela Merkel (CDU) natürlich, sonst regelmäßiger Gast auf Katholikentagen. Die Bundeskanzlerin vertrat Deutschland auf dem G7-Gipfel in Japan. Es fehlte auch: die AfD. Und doch waren die Partei und ihre Vertreter auf fast unheimliche Weise präsent. In mehr oder weniger schrillen Wortmeldungen in den Medien und den sozialen Netzwerken - und in der Debatte darüber, ob sich der Katholikentag mit dem Ausschluss der Partei einen Gefallen getan hat.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der wie sein Parteifreund Sigmar Gabriel am Samstag in Leipzig erwarte wurde, warnte vor einer Ausgrenzung und plädierte dafür, sich inhaltlich mit der AfD auseinanderzusetzen. "Dann wird man sehen, was sie zustande bringt außer zu krakeelen."

Symbolisch frei gehaltene Plätze

Es fehlten aber auch und vor allem: Menschen, die den auf manchen Podien symbolisch frei gehaltenen Platz einnahmen. Der Konfessionslose etwa, der mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und anderen über das Thema "Ich glaub' nicht, mir fehlt nichts" hätte diskutieren können. Beim Gespräch zur Flüchtlingspolitik mit Innenminister de Maizière sollte ein freier Stuhl an die vielen auf der Flucht gestorbenen Menschen erinnern.

Es bleibt ein Rätsel, warum die Veranstalter nicht stattdessen einen Überlebenden einluden. Allein in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Leipzig leben laut Angaben der Stadt 1.131 Flüchtlinge. Man hätte sie also durchaus finden können: Jene Menschen, über deren Schicksal die Parteien verhandeln und gegen die AfD-Schwadronierer und Pegida-Marschierer wettern.


Quelle:
KNA