Nach de Maizières Worten gegenüber der Funke Mediengruppe (Samstagsausgaben) gab es seit Januar 449 Übergriffe gegen Flüchtlingsheime, darunter 82 Gewaltdelikte. "Außerhalb der Unterkünfte hat es weitere 654 Straftaten gegen Asylbewerber gegeben, 107 von ihnen verliefen gewaltsam", sagte de Maizière.
Der überwiegende Teil der Taten war den Angaben zufolge rechtsmotiviert. Im gesamten Jahr 2015 registrierten die Behörden 1.031 Übergriffe auf Asylheime. Gegenüber dem Vorjahr hatte sich die Zahl damit verfünffacht. Angriffe gegen Flüchtlinge außerhalb der Unterkünfte werden erst seit diesem Jahr ausgewiesen.
De Maizière sprach von einer "Teilverrohung unserer Gesellschaft". Die Hemmschwelle, jemanden zu beleidigen, sinke. Bei diesem Phänomen habe der Anstieg der Flüchtlingszahlen «wie ein Beschleuniger» gewirkt. Dies habe das Land polarisiert und bei einigen die Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt noch einmal gesenkt.
Thierse: Gebote der Solidarität verteidigen
Auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) beobachtet eine zunehmende Aggressivität in der Gesellschaft. Es greife ein "Klima der Verrohung" um sich, dem es an Respekt vor der persönlichen Ehre und Menschenwürde fehle, sagte Thierse am Samstag auf dem Katholikentag in Leipzig. Immer selbstbewusster und auch öffentlich würden menschenfeindliche Parolen diskutiert.
Thierse verwies dabei auch auf Gewaltattacken auf Flüchtlingsheime. Mehr denn je gelte es, "die Gebote der Mitmenschlichkeit und der Solidarität zu verteidigen", appellierte der 62-jährige bekennende Katholik. Humanität müsse neu gelernt und praktiziert, eine Willkommenskultur gelebt werden.
de Maizière: Anonymität kein Fortschritt für demokratische Kultur
Bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik am vergangenen Montag hatte de Maizière betont, dass etwa die Hälfte der Tatverdächtigen bei Gewaltattacken auf Flüchtlingsheime zuvor nicht polizeilich in Erscheinung getreten war. Viele kämen aus der näheren Umgebung von Flüchtlingsunterkünften. "Wenn unbescholtene Bürger plötzlich Gewalt anwenden, gibt das umso mehr Anlass zur Sorge", sagte de Maizière den Zeitungen.
Der Innenminister beklagte in dem Zusammenhang auch anonyme Hasskommentare im Internet und forderte eine Debatte über den Umgang damit. "Anonymität in der Kommunikation - gerade im Internet - ist kein Fortschritt für die demokratische Kultur", sagte der CDU-Politiker. "Die Vermummung ist im Internet genauso falsch wie bei einer öffentlichen Demonstration", ergänzte er. Das Bekenntnis zum Namen führe zur Mäßigung im Umgang mit der Sprache. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz wies in diesem Zusammenhang ein "Vermummungsverbot für Nutzer des Internets" zurück und forderte die Bundesregierung auf, effektiv gegen Hass-Parolen im Internet vorzugehen.