Papst Franziskus hat eine fortwährende Diskriminierung von Behinderten angeprangert. Oft herrsche die Einstellung, die Betroffenen seien im "vergoldeten Gehege" oder in "Reservaten der frömmelnden Fürsorge und des Wohlfahrtsstaates" besser aufgehoben, weil sie dort den "Rhythmus des künstlichen Wohlbefindens" nicht störten, sagte Franziskus am Sonntag in einem Gottesdienst für Behinderte und Kranke. Dies sei jedoch eine "Selbsttäuschung", die den wahren Sinn des Lebens verkenne. Dieser verlange auch die Annahme von Leid und Begrenzung, so der Papst auf dem Petersplatz.
Zugleich kritisierte Franziskus einen übersteigerten Perfektionismus. "Die Welt wird nicht besser, wenn sie nur aus augenscheinlich 'perfekten' Menschen besteht", betonte er. Nötig sei dazu vielmehr Solidarität unter den Menschen, gegenseitige Annahme und Achtung.
Mehr als 20.00 Besucher
Zu dem Gottesdienst waren mehr als 20.000 Behinderte und Kranke mit ihren Betreuern auf den Petersplatz gekommen. Er bildete den Höhepunkt einer Sonderveranstaltung für Behinderte und Kranke im Heiligen Jahr. An der Messe wirkten auch Behinderte mit.
Zugleich wandte sich Franziskus in seiner Predigt entschieden gegen die Behauptung, das Leben von Schwerbehinderten sei nicht lebenswert. Nur weil die Betroffenen "den von der Genuss- und Unterhaltungskultur aufoktroyierten Lebensstil" nicht verwirklichten, heiße das nicht, dass sie nicht glücklich sein könnten. Entscheidend für ein glückliches Leben sei die Liebe, die Behinderte und Kranke von ihren Mitmenschen erhielten. Viele von ihnen öffneten sich wieder dem Leben, sobald sie entdeckten, dass sie geliebt werden, erklärte er.
Warnung vor Zynismus
Der Papst warnte zugleich vor überzogenen Hoffnungen auf den medizinischen Fortschritt. Ebenso warnte er vor einem Zynismus, der alles geduldig ertrage oder sich allein auf die eigenen Kräfte verlasse.
Weiter sagte der Papst, die Art und Weise, wie man sich mit Leiden und Einschränkungen auseinandersetze, sei ein Gradmesser für die Freiheit, den Erfahrungen des Lebens Sinn zu verleihen, "auch wenn sie uns widersinnig und unverdient erscheinen".
Aufruf von Kardinal Marx
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat dazu aufgerufen, alle Hindernisse zu beseitigen, die Begegnungen von Menschen erschwerten. Bei der ersten zentralen barrierefreien Wallfahrt im Erzbistum München und Freising wandte sich Marx am Sonntag gegen "Türen, die verschlossen und Treppen, die zu hoch sind". Es gebe aber auch andere Barrieren, so der Kardinal: "Fremde, von denen wir denken, sie passten nicht zu uns. Arme, von denen wir sagen, sie gehörten nicht in unsere Kreise. Und politisch Andersdenkende, von denen wir sagen, mit denen reden wir nicht."
Oft würden lieber Mauern gebaut und Zäune aufgezogen, anstatt sich zu begegnen, bedauerte der Kardinal. Jesus sei anders. "Er gibt uns ein Zeichen, wie Gott die Welt sieht: Gott schaut auf alle Menschen und schließt niemanden aus, sondern lädt alle in die Familie Gottes ein." Dass er vor allem die Kranken und Schwachen im Blick habe, sei eine "große Botschaft", eine "wirkliche Revolution".
Die Wallfahrt stand unter dem Motto "Gott - gemeinsam - geben" und führte von drei Treffpunkten in der Münchner Altstadt zum Dom. Dort zogen die Teilnehmer durch die zum Heiligen Jahr eingerichtete "Pforte der Barmherzigkeit" in die Frauenkirche ein.