Jetzt, wo alle Welt vom Brexit spricht, mag es erlaubt sein, einen klitzekleinen Moment den tag-täglichen Kirchenexit in den Blick zu nehmen – auch wenn hier vieles ganz anders ist. Es gibt keinen Stichtag für die Wahl der Entscheidung, wann man die Familie der Christenheit hinter sich lässt. So gibt es folglich auch keinen "schwarzen Freitag", wo man sich im Vatikan und in den kirchlichen Verwaltungen hierzulande verwundert die Augen reibt, weil das Gottesvolk mehrheitlich die Gefolgschaft verweigert. Aber irgendwann ist es vielen Christen einfach genug.
Mal sind es die Kirchensteuern, die als unnötige Belastung empfunden werden, mal ist es der Ärger über den Pfarrer vor Ort, der die eigene Mutter, die doch immer zur Kirche ging, nicht am Samstag beerdigen will. Mal wird die Weltfremdheit der Kirche betont, mal regt man sich über die Badewanne des Bischofs auf oder man sieht in allen Priestern Kinderschänder. Egal - diesen Verein will man so schnell wie möglich hinter sich lassen.
Der Kirchenaustritt erfolgt im Gegensatz zum britischen Getöse in der Regel ganz leise. Selbst wenn man den Bruch nicht ganz offiziell auf dem Papier vollzieht – man geht einfach nicht mehr hin: "Das kirchliche Angebot braucht kein Mensch mehr", heißt es dann. Und: "Kirche, die kirchlichen Einrichtungen und Verbände passen einfach nicht mehr in die Zeit – sie sind weder geil noch sexy". Ganz egal, ob man sich offiziell für den Kirchenexit entschieden hat oder ob aus Bequemlichkeit nur passives Kirchenglied bleibt – am Morgen danach dreht sich die Welt weiter. Und, anders als beim Brexit, will nachher auch keiner noch mal neu abstimmen oder gar so schnell es geht wieder in die christliche Gemeinschaft zurück. Das gemeinsame Gotteshaus bleibt leer. Bestenfalls ein totes Museumsgebäude, das wie die alte Burg ganz gut zum schönen Stadtbild passt…
Klöster werden zu Tagungszentren
Vielleicht traurig – aber leider wahr. Alle kirchlichen Statistiken und jede leerbleibende Kirchenbank am Sonntag dokumentieren diesen Kirchenexit. Der Exodus aus den Kirchen in Deutschland ist nicht neu und er hört auch nicht auf. Gleichzeitig sprudelt bei den Kirchen so viel Geld in die Kassen wie nie zuvor, was den kirchlichen Entscheidungsträgern hilft, die schmerzenden Wunden zu verkleistern. Warum nicht eine Kirche in ein modernes Kommunikationszentrum verwandeln? Ein nicht mehr genutztes Kloster in ein attraktives Tagungszentrum?
Die Alternative? Wenn mir Europa nicht gefällt, ziehe ich mich auf meine Insel zurück und lebe in dem Trugschluss, dass alles wieder so schön wird wie früher. Und wenn mir die Kirche nicht mehr gefällt? Dann hilft leider auch kein Austritt wie aus jedem x-beliebigen Verein. Besser werden die Kirche und das eigene Leben nur, wenn jeder Einzelne die Ärmel hochkrempelt und anpackt. Hier und jetzt! Immer nur meckern und sich beleidigt zurückziehen, hat noch niemandem geholfen. "Oh mein Gott, das haben wir doch so alles nicht gewollt?!" Wirklich nicht? Und warum habt ihr Briten und ihr Kirchenverlasser euch dann so entschieden? Das Schöne beim Kirchenexit ist die Möglichkeit, einfach noch mal umzukehren. Denn hier haben Christen einen großen Vorteil: Umkehr und Neuanfang gehören seit Anfang an zum christlichen Programm.