domradio.de: Die Steuerung von Migration war ein Thema auf der internationalen Flüchtlingskonferenz am Dienstag in Berlin. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht da auch eine Datenbank im Aufbau. Er sagte, man müsse sich innerhalb der Weltgemeinschaft verständigen, wie Migration gesteuert werden kann. Einzelstaatliche oder europäische Antworten allein würden nicht ausreichen, ergänzte Steinmeier. Das klingt so, als könne man alles in den Griff bekommen, wenn man nur will. Lässt sich Migration steuern?
Dr. Oliver Müller (Leiter von Caritas International): Wahrscheinlich nicht. Aber die Kernfrage ist, was bedeutet denn der Begriff "Steuerung"? Wir machen als Hilfswerk leider immer wieder die Erfahrung, dass Steuerung im Sinn von Abwehr verwendet wird. Das bedeutet, dass Steuerung auch Maßnahmen beinhaltet, um Flüchtlinge gar nicht erst kommen zu lassen. Steuerung ist aber insofern ein wichtiger Begriff, weil es natürlich in vielen Teilen der Welt Situationen gibt, in denen man sehr gut vorhersagen kann, dass da Menschen aus schierer Not und der Angst vor einem Bürgerkrieg ihr Land verlassen werden.
Es ist natürlich sinnvoll, sich darauf einzurichten, um dann nicht - wie wir es im vergangenen Jahr erlebt haben - plötzlich vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Da ist auch die Initiative des Auswärtigen Amtes als gut einzustufen. In der Vergangenheit hat die Weltgemeinschaft häufig sehr kurzfristig agiert. Deshalb ist es gut, sich auf bestimmte Entwicklungen vorzubereiten.
domradio.de: Ein Thema der Konferenz war, auf die Menschen zuzugehen, die eine Migrationsabsicht haben und sie über potenzielle Risiken und legale Einwanderungsmöglichkeiten aufzuklären. Deutschland verfolgt solche Kampagnen unter anderem schon in Afghanistan und im Nahen Osten. Sind das Ihrer Meinung nach hilfreiche Maßnahmen?
Müller: Wir waren darüber auch mit dem Auswärtigen Amt im Gespräch. Es wurde immer betont, dass es sich hierbei um Aufklärungskommunikation und nicht um Abschreckungskommunikation handelt. Die Teile der Werbemaßnahmen, die über Plakate oder Internetseiten durchgeführt werden, scheinen mir auch in diese Richtung zu gehen. Ich selber bin aufgrund meiner Erfahrungen in den Ländern doch recht skeptisch, inwiefern sich die Menschen davon wirklich beeinflussen lassen. Wenn sie in Afghanistan leben und täglich mit Unsicherheit leben und nicht wissen, ob der Schulweg der Kinder sicher ist oder ob es Übergriffe gibt, dann sind solche Aufklärungskampagnen natürlich etwas, das sehr weit weg vom eigenen Erleben ist.
So gesehen hat die Initiative etwas Gutes, denn man muss auch feststellen, dass viele Schlepper mit völlig falschen Versprechungen arbeiten. Deshalb werden auch einige Menschen motiviert, sich überhaupt auf den Weg zu machen. Aber die überwiegende Zahl der Flüchtlinge geht doch aus größter Not, um ihr Leben zu retten. Wenn man in einer solchen Situation ist, dann fragt man nicht, welche Sozialleistungen es in Deutschland gibt und wie lange man warten muss, bis der Asylantrag anerkannt wird. Man geht dann, man flieht einfach. Daran wird die Kampagne wahrscheinlich nicht sehr viel ändern können.
domradio.de: Wird dann nicht zu wenig darüber gesprochen, dass es überhaupt nicht so weit kommt, dass Menschen ihr Land verlassen wollen?
Müller: Das spricht das Thema der Bekämpfung von Fluchtursachen an. Dabei fehlt mir ein wichtiger Aspekt in der Diskussion, der klarer wird, wenn man einen Blick auf die Länder wirft, aus denen die meisten Menschen fliehen: Das sind Länder, in denen es Krieg und Konflikte gibt und auch einige Länder, in den der Westen sehr aktiv war. Hier wurden teilweise Interventionen vorgenommen, wie beispielsweise im Irak, in Afghanistan oder in Somalia. Dann sind die westlichen Länder aber im Prinzip mehr oder weniger erfolglos aus diesen Ländern wieder abgezogen. Es ist nicht gelungen, demokratische Strukturen zu etablieren. All das heißt aber nicht, dass diese Länder nicht selbst auch viel Schuld an ihrer Situation tragen.
Wenn wir jetzt auf den Südsudan schauen, wo sich verfeindete Gruppen bekämpfen, dann muss man schon nach den Schuldigen auch im Land suchen. Aber insgesamt wäre noch viel mehr im Thema "Frühzeitige Konfliktvermeidung" und Prävention zu tun. Situationen, in denen Staaten quasi implodieren und danach als gescheiterte Staaten gelten, wie beispielsweise Somalia und zu Teilen auch der Irak, in dem es kein Recht und Gesetz mehr gibt, sollten frühzeitig in den Blick genommen werden. Dann hätte man nicht diese großen humanitären Probleme, wie es momentan der Fall ist.
domradio.de: In Berlin soll jetzt eine Datenbank aufgebaut werden, die zukünftig detailliert über Flüchtlingsbewegungen Auskunft geben kann. Die Medien berichten über rückläufige Flüchtlingszahlen, zumindest bei uns in Deutschland. Ist es so, dass wirklich weniger Menschen flüchten? Oder kommen sie schlicht nicht mehr nach Deutschland durch?
Müller: Die Problematik ist bei uns etwas in den Hintergrund gerückt, weil nicht mehr so viele Flüchtlinge bei uns ankommen. Aber die Gesamtsituation hat sich eigentlich nicht verändert. Der Krieg in Syrien geht in das sechste Jahr und ist nach wie vor blutig und führt tagtäglich zu Flucht und Vertreibung. Auch andere Konflikte, wie der im Südsudan und andere Problemlagen, wie beispielsweise in Eritrea oder wirtschaftliche Not in Westafrika, die uns weiter beschäftigen wird, sind zu beachten. Das heißt, wir werden auch in diesem Jahr mit Flüchtlingen zu rechnen haben, die in ihrem Heimatland kein Auskommen mehr sehen.
Es kommt schon mit darauf an, sich aus humanitären und aus politischen Gründen auf die Länder und Regionen zu konzentrieren, wo sich diese Menschen gerade aufhalten, um sie dort zu unterstützen. Viele von denen, die sich aufmachen wollen, wollen in erster Linie nicht zu uns kommen, sondern sie haben schlichtweg keine Alternative mehr. An dieser Stelle kann man nur kurzfriste Fluchtursachenbekämpfung durch humanitäre Hilfe betreiben. Man muss es aber grundsätzlicher angehen. Dazu kann die Entwicklungshilfe ihren Beitrag leisten. Aber das schafft keine schnelle Erfolge, sondern ist ein langfristiges Unterfangen.
Das Interview führte Daniel Hauser.