Wirbel um Messzelebration Richtung Osten

Eine Frage der Sichtweise

Kardinal Sarahs Bitte an die Priester, sich bei der Zelebration der Messe wieder nach Osten zu wenden, hat für einigen Wirbel gesorgt. Doch ganz so rückwärtsgewandt ist die Anregung des Präfekten der Gottesdienstkongregation nicht.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Messe in der außerordentlichen Form des römischen Ritus / © Jörg Loeffke (KNA)
Messe in der außerordentlichen Form des römischen Ritus / © Jörg Loeffke ( KNA )

Robert Kardinal Sarah, Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung im Vatikan, hat in der Vergangenheit mehrfach Aufsehen erregt. Gerade seine Äußerungen im Rahmen der beiden vergangenen Familiensynoden sind nicht überall auf Wohlwollen gestoßen. Dass nun die Bitte an die Priester, künftig wieder die traditionelle Zelebrationsrichtung einzunehmen, von einem Kardinal kommt, dem das Prädikat "erzkonservativ" aufgedrückt ist, ließ die Gemüter in Wallung geraten.

Während traditionalistische Kreise zu jubeln begannen, dass der alten Liturgie wohl nun auch unter Papst Franziskus ein größerer Raum zugedacht würde, rümpften manche Progressisten die Nase über einen erneuten Vorstoß aus der altritualistischen Ecke. Das lag nicht zuletzt daran, dass selbst Meldungen von Agenturen, die sonst eigentlich sehr seriös arbeiten, die Zelebrationsrichtung mit der Ritenform in untrennbaren Zusammenhang brachten. Dem eigentlichen Kernanliegen Kardinal Sarahs wurden die Reaktionen jedoch nicht gerecht.

"Versus orientem" im Einklang mit neuer Liturgie

Robert Kardinal Sarah hielt seinen Vortrag im Rahmen eines Liturgiekongresses des Vereins "Sacra Liturgia" in London. Dabei handelt es sich um eine Vereinigung, die um das versöhnte Miteinander von ordentlicher und außerordentlicher Form der römischen Liturgie bemüht ist. Die Teilnehmer dieser Kongresse gelten gemeinhin als konservativ und der alten Liturgie durchaus zugeneigt. So waren in London als Referenten u.a. der Erzbischof von San Francisco, Salvatore Cordileone, sowie aus Deutschland der Freiburger Dogmatiker und Liturgiewissenschaftler Helmut Hoping anwesend.

Bestandteil des mehrtägigen Kongresses war auch die tägliche Heilige Messe, die abwechselnd in beiden Formen gefeiert wurde. Kardinal Sarah hatte mit den Teilnehmern die Liturgie in der ordentlichen Form des römischen Ritus gefeiert, bevor er sein Eröffnungsreferat hielt. Thema war die authentische Umsetzung von "Sacrosanctum Concilium" (Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils). Sarah mahnte – wie schon zuvor in einigen Interviews – an, dass es in der Liturgie nicht "um dich und mich" sondern um die Ehre Gottes gehe. Im Rahmen einer Audienz im April habe ihn Papst Franziskus gebeten, die Frage nach einer "Reform der Reform" zu untersuchen und inwieweit sich beide Formen des römischen Ritus gegenseitig bereichern könnten.

Unabhängig von der Frage nach der Liturgieform appellierte Kardinal Sarah an alle Priester, sich bei den Teilen des Gottesdienstes, die sich an Gott richten, mit den Gläubigen beim Beten in dieselbe Richtung ("Eastwards or at least towards the apse") zu drehen. Dies stehe im völligen Einklang mit den aktuellen liturgischen Vorschriften und sei im modernen Messritus erlaubt. Von der alten Liturgie war also an dieser Stelle des Vortrags gar keine Rede gewesen. Und in der Tat schreibt auch die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch die Zelebrationsrichtung keineswegs vor. Dort ist nur davon die Rede, dass der Altar in einer Kirche frei stehen soll, damit man ihn umschreiten und an ihm, der Gemeinde zugewandt, die Messe feiern könne, also nicht zwingend müsse. In späteren liturgischen Büchern treten noch zu akzeptierende denkmalpflegerische Gegebenheiten hinzu.

Irritationen im Vatikan

Neu war Kardinal Sarahs Appell keineswegs. Vor einem Jahr hatte sich der Präfekt der Gottesdienstkongregation bereits ähnlich im "L’Osservatore Romano" und zuletzt erst im Mai in der Zeitschrift "Famille Chrétienne" geäußert. Dennoch sorgten einige Schlagzeilen, die Sarahs Appell mit der Bitte des Papstes in einen Zusammenhang gebracht hatten, für Aufregung. Das nun erzeugte Bild suggerierte, Papst Franziskus würde hinter diesem Appell stehen und ihm dadurch gewissermaßen einen offiziellen Charakter verleihen. In Verbindung mit der alten Liturgie sorgte das freilich für einen Großalarm. Mancher erwartete vielleicht sogar ein offizielles Schreiben dazu aus dem Vatikan zum 1. Adventssonntag, den Sarah als möglichen Beginn für die Zelebration "versus orientem" nannte.

Dies und auch der Gebrauch des Begriffs "Reform der Reform" hat nicht nur den Erzbischof von Westminster alarmiert, der sich zu einer Klarstellung genötigt sah. Auch Papst Franziskus bestellte seinen Liturgie-Präfekten zu einer Audienz am Samstag ein. Deren Ergebnis war nun eine offizielle Meldung des Vatikans. Sarah sei "schlecht interpretiert" worden. Das Messbuch von 1970 sei weiterhin "vollständig gültig". Es sei aber auch besser, den Begriff "Reform der Reform" im Hinblick auf die Liturgie zu vermeiden, weil dadurch Missverständnisse hervorgerufen würden.

Erhitzte Gemüter

Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken zeigen immer wieder, dass es gerade liturgische Themen sind, an denen sich die Gemüter erhitzen. Eine sachliche Diskussion ist nur selten möglich, weil Traditionalisten wie Progressisten gleichermaßen die Frage nach Liturgiesprache und Zelebrationsrichtung ideologisieren. Ein schon seit einigen Jahren pensionierter Priester aus dem Bistum Münster, der zur Erlebnisgeneration des Konzils gehört, begründet die Zelebration zur Gemeinde hin mit dem Gedanken, dass man doch die Leute anschauen möchte, mit denen man spreche. Hat diese Generation zwar noch gelernt, dass im größten Teil der liturgischen Texte nicht die Gemeinde sondern Gott angesprochen wird, so dürfte die Stoßrichtung eher die sein, den Gläubigen die neuen Riten behutsam nahezubringen und zu erklären. Eine Generation später wird der "Erklärbär" durch den "Entertainer" ausgetauscht, der liturgisch kreativ wird und dadurch die volle Aufmerksamkeit der Gemeinde auf sich zieht.

Solche Entwicklungen haben Theologen wie Joseph Ratzinger schon früh kritisiert und daher auch eine Rückkehr zur traditionellen Zelebrationsrichtung als Möglichkeit angesprochen. Auch der Freiburger Liturgiewissenschaftler Helmut Hoping sieht die Zelebration "versus populum" nicht unskeptisch und bezeichnet ihre Negativfolgen als "neue Form der Klerikalisierung". Doch gerade die mögen nicht wenige Gottesdienstbesucher, die während der Liturgie persönlich angesprochen werden möchten und in den Verstoßen gegen die Rubriken eher eine Verlebendigung des Gottesdienstes sehen. Und auch die Erlebnisgeneration wie mancher "Konzilsanerkenner" sehen neben dem Verschwinden des Latein vor allem in der Abkehr von der Zelebrationsrichtung "mit dem Rücken zum Volk" die wesentlichen Errungenschaften der Liturgiereform.

Dabei ist diese Formulierung mindestens ebenso polemisch wie die gerade benutzte Bezeichnung dieser Zielgruppe. Denn es geht hier weniger um eine Abkehr von der Gemeinde, sondern mehr um eine gemeinsame Gebetsrichtung mit dieser. Aber auch die Polemik aus traditionalistischen Kreisen, denen die äußere Form das Wichtigste zu sein scheint, behindert eine sachliche Auseinandersetzung mit der nicht ganz unwichtigen Frage, was wir denn eigentlich in der Liturgie feiern und wer da wann und wo angesprochen wird. Es ist also vielmehr eine Frage der inneren Haltung, denn "gottlos feiern" kann man sowohl "versus populum" als auch "versus orientem", wie es ein Priester des Erzbistums Köln formuliert.

Der sicherlich gut gemeinte Beitrag Kardinal Sarahs, der über die mediale Wirkung seines Vortrags in London sehr überrascht gewesen sein soll, zu dieser Diskussion hat seine intendierte Wirkung leider verfehlt. Aber auch die Stellungnahme des Vatikans lässt einen im Unklaren, was denn nun Papst Franziskus darüber denkt und wie man die Aussagen seines Präfekten richtig zu interpretieren hat. Helmut Hoping schlägt für den liturgischen Alltag der Pfarrei daher vor, nicht den radikalen Schritt zur traditionellen Zelebrationsrichtung zu vollziehen, sondern vielleicht erst einmal damit anzufangen, die Gebete vom Priestersitz aus in Richtung Altar oder Kreuz zu sprechen, um die Gemeinde wieder etwas mehr zu sensibilisieren, dass nun nicht sie sondern mit ihr Gott angesprochen wird.


Kardinal Robert Sarah (Archivbild) / © Paul Haring/CNS photo (KNA)
Kardinal Robert Sarah (Archivbild) / © Paul Haring/CNS photo ( KNA )
Quelle:
DR