Schwester Hatune Dogan über die Lage im Nordirak

Eine Schulter zum Anlehnen

Als eine Art "Mutter Teresa" der verfolgten Christen hilft Schwester Hatune Dogan mit ihrem Verein "Helfende Hände" Notleidenden in der Krisenregion Nahost. Im Interview berichtet sie von der Angst der Geflüchteten - und ihre Art zu helfen.

Christen in einer Kirche im Nordirak  (dpa)
Christen in einer Kirche im Nordirak / ( dpa )

domradio.de: Wo genau waren Sie im Nordirak? 

Schwester Hatune Dogan (syrisch-orthodoxe Ordensfrau): Ich war erst in der Türkei: in Istanbul, im Südosten der Türkei. Es tobt dort genau wie in den anderen Ländern, aber das dringt nicht so nach außen. Von dort bin ich dann den Nordirak weiter. Ich war in der Stadt Dohuk und Umgebung. Dort sind 19 große Flüchtlingscamps. Darin leben bis zu hunderttausend Menschen.

domradio.de: Wie geht es den Menschen dort in den Lagern?

Schwester Hatune: Die Angst steigt und die Unterstützung wird weniger. Die meisten sind Jesiden. Christen sind eher privat, in den Sportclubs oder in Kirchhöfen untergebracht. Nicht so oft in den großen Flüchtlingscamps. Dort sind fast 95 Prozent Jesiden und die haben Angst ohne Ende. Keine religiöse Gruppe ist vor dem Terror des IS sicher - seien es Christen, Jesiden, Schiiten, aber auch Sunniten. So herrscht also Angst, dass sie vom IS oder Islamisten getötet werden.

domradio.de: Was brauchen die Menschen jetzt an materieller Unterstützung am dringendsten?

Schwester Hatune: Wir folgen da dem Matthäus-Evangelium, wo Jesus sagt: "Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen". Ich helfe, um dieses Wort des Evangeliums zu erfüllen. Egal welcher Glaube, egal welche Hautfarbe, hauptsache der Mensch braucht diese Unterstützung. Ich helfe nicht demjenigen mit dem Messer in der Hand, sondern dem, der auf dem Boden liegt. Das ist ein Unterschied bei uns.

domradio.de: Wie helfen Sie? Auf welche Probleme stoßen Sie dort?

Schwester Hatune: Die Menschen dort leben unter ganz anderen Bedingungen. Im Shingal-Gebirge zum Beispiel leben sie mitten in den Bergen, ohne Strom und fließendes Wasser. Im Sommer ist es unerträglich heiß und im Winter herrschen Minusgrade. Ihnen fehlen dort die Vitamine und sie werden deshalb krank. Es gibt in vielen Gemeinden nicht einmal Seife. Eine mangelnde Hygiene führt natürlich auch zu Krankheiten. Und diese Menschen brauchen dringend Hilfe.

domradio.de: Zu Ihrem Verständnis von Hilfe gehört aber auch und vor allem, den Leuten zuzuhören. Und das haben Sie jetzt auch wieder getan - und zwar vor allem bei Frauen und Mädchen. Warum brauchen die das besonders?

Schwester Hatune: Die Menschen sind traumatisiert, einige waren in den Händen des IS, manche wurden vergewaltigt, andere wiederum mussten das mit ansehen. Meine Aufgabe ist es, ihnen zuzuhören. Das ist etwas, das ich auch ohne Geld kann. Viele Mädchen brauchen eine Umarmung, das Gefühl, dass jemand sie akzeptiert, dass sie nicht ausgestoßen werden und sie sich wieder als Menschen fühlen können. Wenn so ein Mädchen vergewaltigt wurde, dann wird sie schief angeschaut, obwohl der religiöse Führer gesagt hat, dass man sich ihnen annehmen solle. Aber das scheint einfach in der Gesellschaft tief verankert zu sein.

domradio.de: Wie können Sie ihnen Trost geben? 

Schwester Hatune: Ich habe Psychologie studiert und bin Seelsorgerin. Ich musste in der Südtürkei, wo ich aufgewachsen bin, selbst die Erfahrung eines Vergewaltigungsversuches erleben. Gott hat mich in der letzten Minute gerettet. Ich kenne also das Gefühl. Ich erzähle meine Geschichte. Dann bekommen die Mädchen Vertrauen und dann brauche ich ihnen nur die Schulter hinhalten, damit sie den Kopf drauflegen und weinen können. Ich kann sie nicht heilen, aber ich versuche sie aus dem Traumata und aus den Selbstmordgedanken rauszuholen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Ordensschwester Hatune Dogan (epd)
Ordensschwester Hatune Dogan / ( epd )
Quelle:
DR