Vor elf Jahren wurde der Taizé-Gründer Frère Roger ermordet

Heiliger der Herzen

"Mord, dann Lied 23", so titelte die "Zeit" nach dem Attentat auf den Taizé-Gründer Frère Roger vor elf Jahren. Die journalistisch geniale Zeile steht für den unaufgeregten Umgang der Brüder mit der schrecklichen Tat.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Grab von Frère Roger / © Alexander Brüggemann (KNA)
Grab von Frère Roger / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Mahatma Gandhi 1948. Martin Luther King 1968. Stephen Biko 1977. John Lennon 1980. Warum müssen Männer des Friedens einen gewaltsamen Tod sterben? Besonders sinnlos erscheinen solche Taten, wenn das Opfer eh schon im Winter seines Lebens steht. Gandhi war 78 Jahre alt und von zahllosen Hungerstreiks geschwächt, als ihn ein religiöser Fanatiker Auge in Auge erschoss. Und Frère Roger, lebenslanger Friedensarbeiter und Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taize, war bereits 90 und an den Rollstuhl gefesselt. Am 16. August 2005, vor elf Jahren, stach ihn eine geistesgestörte Frau beim täglichen Abendgebet mit einem Messer nieder, das sie noch am Nachmittag gekauft hatte.

Verhinderte Ordensfrau als Täterin

Ein Schrei fuhr durch die Andacht in der Kirche von Taizé. Es gab kurz Bewegung, dann wieder Gesang. Nur wenige in der voll besetzten Kirche bekamen zunächst mit, was geschehen war: Luminita Solcan, Elektroingenieurin aus Rumänien und verhinderte Ordensfrau, hatte Frère Roger ermordet.

Die Überlieferung von dem, was damals geschah, ist so taizegemäß wie nur irgend denkbar: Der blutende Greis wird diskret hinausgetragen und stirbt; ein geistesgegenwärtiger Taizé-Bruder stimmt den Gesang "Laudate omnes gentes" an. Lied 23: "Lobt, alle Völker, den Herrn". Die Gemeinschaft bleibt auch in ihrem schlimmsten Moment, was sie ist: vereint im Gebet.

Frère Roger längst war bereit gewesen zu gehen: Dem Tod sah er, schon mit schwacher Stimme, gelassen entgegen - weil Gott den Menschen dann für immer bei sich aufnehme. Und doch bedauerte er, seine Brüder und die Jugendlichen bald verlassen zu müssen. Seine letzten Worte hatte er noch am Nachmittag des 16. August diktiert, aber dann, wohl aus Erschöpfung, mitten im Satz abgebrochen: "ausweiten", das war das Thema. Die Solidarität? Vergebung? Die menschliche Güte?

Grußbrief Frère Rogers zum Weltjugendtag in Köln

Eine schöne Fußnote der Geschichte ist, dass der neue Papst Benedikt XVI. den Grußbrief Frère Rogers zum zeitgleich stattfindenden Weltjugendtag in Köln just an dessen Todestag erhält. Jener deutsche Papst, der sogenannte "Panzerkardinal" und oberste vatikanische Glaubenshüter Joseph Ratzinger, der im Jubel von Köln gerade die vielleicht triumphalsten Stunden seiner Amtszeit feiert; und der dem geborenen Calvinisten Frère Roger kurz zuvor, noch als Kardinaldekan, bei der Beisetzung von Papst Johannes Paul II. im April öffentlich die Kommunion gereicht hatte.

Der deutsche Taizé-Bruder und Katholik Frère Alois fährt nach Erhalt der Todesnachricht von Köln aus die ganze Nacht durch, zurück nach Burgund. Er ist jetzt der Prior von Taizé, wie es schon seit Jahren feststand. Doch trotz aller Kontinuität und Unaufgeregtheit: Taize ohne Frère Roger, das war zuvor nicht denkbar gewesen.

Heiliger der Herzen

12.000 Menschen kommen zur Beisetzung; allein rund 1.000, die kurz zuvor noch beim Weltjugendtag in Köln gewesen waren. Wer könnte eine Zahl nennen, wie viele Menschenleben der Gründer von Taizé durch sein Charisma entscheidend verändert hat? Ist Frère Roger für seinen Glauben gestorben? Ist er ein Märtyrer? Ohne Zweifel ist er in seinem Glauben gestorben - und hätte er nicht diesen Glauben gehabt, wäre er sicher nicht auf diese Weise gestorben. Längst wäre er wohl ein Heiliger, hätte der Calvinist am Ende seines langen Lebens einen zweifelsfrei "katholischen Pass" gehabt. Längst wäre er wohl ein Heiliger, kennte die evangelische Kirche Heilige im katholischen Sinne. Längst wäre er wohl ein Heiliger, wäre seine Vision von christlicher Ökumene bereits Realität geworden. So bleibt Frère Roger einstweilen ein "Heiliger der Herzen".

Das Leben ging weiter. Ein schlichtes Holzkreuz vor der romanischen Kirche in Taizé trägt seinen Namen, und immer stehen dort frische Blumen. Warum musste ein 90-jähriger Greis gewaltsam sterben, der Frieden predigte und ihn so vielen Menschen brachte? Der Gottsucher Frère Roger verstand sein irdisches Leben und Wirken nie als Selbstzweck, sondern als eine tägliche Gelegenheit, seinem Nächsten und damit Gott einen Schritt entgegenzugehen. Oder, wie der verstorbene Autor Manfred Hinrich schrieb: Das Meer hat keinen Sinn - die Schifffahrt hat einen Sinn.


Trauer um Frère Roger (Erzbistum Köln)
Quelle:
KNA