"Es ist für viele der Augenblick, in dem der Groschen fällt."
domradio.de: Es war der 16. August 2005, als Frère Roger in Taizé von einer psychisch kranken Frau erstochen wurde. Da war in Köln die heiße Phase des Weltjugendtages. Hat Sie das nicht völlig aus dem Konzept geworfen?
Generalvikar Dr. Dominik Meiering: Ich erinnere mich gut an diesen Tag. Das war erschreckend und sehr aufrüttelnd. Wir waren in den Vorbereitungen für das Abendgebet in St. Agnes als mich plötzlich Frère Alois - der jetzige Prior von Taizé, der zu dem Zeitpunkt in Köln war - zur Seite nahm und sagte: Ich muss dir etwas erzählen. Während er mir die schlimme Botschaft überbrachte, kamen auch schon einige Leute, die über die Presse mitbekommen hatten, dass Frère Roger tot war. Wir haben dann ein normales Abendgebet gehalten, haben allerdings ein paar andere Lieder verwendet. Wir haben das Abendgebet als Trauergedenken genutzt. Natürlich gab es in der Kirche das ein oder andere Traurigsein und Weinen, aber im Großen und Ganzen merkte man: Wenn wir jetzt beieinander bleiben und miteinander beten, dann ehren und gedenken wir Frère Roger am allerbesten.
domradio.de: 2004 waren Taizé-Brüder zum ersten Mal in Ihrer damaligen Pfarrkirche St. Agnes zu Gast, und seitdem finden dort monatlich Taizé-Gebete statt. Viele junge Menschen sagen: „Taizé ist ein Gefühl, das man erlebt haben muss.“ Wie sehen Sie das?
Meiering: Ja, mehr als ein Gefühl! Es geht darum, dass dort Menschen plötzlich die Erfahrung von Kirche machen. Vielleicht ein bisschen so, wie es in der Apostelgeschichte beschrieben wird: "Sie waren ein Herz und eine Seele." Junge Menschen lassen sich darauf ein, mit anderen jungen Menschen aus allen möglichen Nationen eine Woche zu verbringen. Sich morgens mit der Bibel zu beschäftigen. Dreimal am Tag - morgens, mittags, abends - miteinander zu beten. Einmal Handy, Fernsehen und so weiter hinter sich zu lassen. Und sich ganz und gar einem gemeinschaftlichen Leben auszusetzen. Und die Erfahrung der jungen Menschen ist, dass sie nicht nur miteinander neu leben lernen, sondern auch anfangen, mit Gott leben zu lernen. Für ganz viele ist das der Augenblick, in dem der Groschen fällt: Ah, Gott ist da! Und der wird konkret erfahrbar - auch in der Gemeinschaft mit anderen Menschen.
domradio.de: Die jetzt laufende Festwoche in Taizé nimmt noch mal ganz bewusst das Leben und Wirken von Frère Roger in den Mittelpunkt. Ist das auch für Sie ein Anlass der persönlichen Selbstvergewisserung?
Meiering: Ja, unbedingt. Ich freue mich sehr, dass ich am Sonntag dabei sein kann. Denn Frère Roger hat mich selbst sehr geprägt. Er hat es durch sein ganzes Leben, durch die Klarheit seines Denkens, durch die Heiligkeit seiner Person geschafft, dass er in jedem Moment, in dem er den Mund aufgemacht hat, wichtige pastorale und theologische Beiträge geliefert hat. Ich habe alle seine Bücher gelesen und bin immer noch von der Klarheit seines Schreibens überrascht.
domradio.de: Glauben Sie denn auch, dass Taizé noch Einfluss auf die Jugendlichen nimmt? Dass sich der Geist von Taizé in den Jugendlichen widerspiegelt?
Meiering: Der Geist von Taizé ist der Geist Jesu Christi. Jedenfalls das, was die Jugendlichen dort mitnehmen und als erfrischend und belebend empfinden. Das heißt, es geht darum, dort eine Erfahrug von Kirche zu machen, die viele bei uns leider nicht mehr machen. Eine Erfahrung, die begeistert und motiviert. Nicht wenige Jugendliche kommen dann zurück und sagen: So möchte ich eigentlich Kirche leben. Manch einer nimmt das dann in die Hand und überlegt, was er hier bei uns tun kann. Es muss ja nicht unbedingt mit einem Taizé-Gebet anfangen. Aber sich zu überlegen, wie man auf irgendeine Art und Weise das Leben in der Gemeinde und im Jugendverband, im Jugendchor, bei den Messdienern gestalten kann - so wie man es in Taizé erfahren hat. Das ist doch ein wichtiger Impuls, der bis heute seine Bedeutung hat.
Das Interview führte Tobias Fricke.