Unfertigkeit, Spontaneität, Vorläufigkeit und Offenheit für den Weg, der vor ihr liegt. Das waren zentrale Lebensprinzipien, die Frere Roger seiner ökumenischen Gemeinschaft von Taizé mitgegeben und vorgelebt hat. Kein historischer Ballast; Improvisation und permanenter Aufbruch statt Verfestigung und Stillstand. Wie aber kann man so eine Dynamik aufrecht halten, wenn der charismatische Gründer gegangen ist?
Die Brüdergemeinschaft aus Burgund feiert Mitte August eine Gedenkwoche. Nach dem 100. Geburtstag von Frère Roger (1915-2005) am 12. Mai jährt sich am 16. August zum zehnten Mal sein Todestag. Und vor 75 Jahren (20. August) wurde mit Rogers Hauskauf in Taizé der erste Stein für die spätere Communaute gelegt. Die Jubiläen sind Anlass zur Freude - aber vielleicht auch zur Selbstvergewisserung und Neujustierung.
Solidaritätswoche vom 9. bis zum 16. August
Allerdings spricht man in Taizé lieber von einer "Solidaritätswoche". Denn auch wenn die Brüder wie stets Abstand zur Tagespolitik und ihren Parteiungen halten, so zeichnet die Gemeinschaft doch ein tiefes politisches Engagement aus: für die Armen und Ausgegrenzten, für die Opfer von Ungerechtigkeit und Konflikten.
Die Feierwoche beginnt am 9. August und gipfelt am Sonntag, dem 16. An diesem Datum wurde der 90-jährige Frère Roger 2005 während des Abendgebets von einer geistig verwirrten Frau erstochen. Der amtierende Prior, der deutsche Katholik Frère Alois (61) aus Bayern, sagt, man wolle zu diesem Anlass mit den Jugendlichen Wege suchen, "um noch stärker aus dem Glauben heraus in Solidarität mit anderen zu leben". Zudem gehe es um die Herausforderungen an Christen in der globalisierten Welt.
Treffpunkt der Jugend
Taizé ist ein Symbol der ökumenischen Bewegung. Das kleine Dorf im südlichen Burgund wurde seit den 1950er Jahren zum Treffpunkt für Jugendliche aus aller Welt. Der Gemeinschaft gehören heute rund 100 evangelische und katholische Männer aus mehr als 25 Ländern an. Seit im August 1974 Zehntausende zu einem "Konzil der Jugend" zusammenkamen, veranstalten die Taize-Brüder regelmäßig Jugendtreffen auf allen Kontinenten. Das "Konzil" von damals haben sie zu einem permanenten "Pilgerweg des Vertrauens" umgewidmet. Zusätzlich zur allwöchentlichen Begegnung von Tausenden Taizé-Pilgern findet jährlich über Silvester ein Taizé-Treffen in einer europäischen Großstadt statt; das nächste im spanischen Valencia.
Zu einem Markenzeichen für Taizé wurden seit den 1970er Jahren die markanten Gesänge. Anders als bei gregorianischen Mönchsgesängen steht hier die singende Jugend im Vordergrund: mit einer sich stetig wiederholenden Melodie, oft mit lateinischem Text; dazu in der Oberstimme Soli in einer oder mehreren lebendigen Sprachen ("Ubi caritas", "Nada te turbe", "Bleib mit deiner Gnade bei uns"). Während der Festwoche soll es zudem eine musikalische Besonderheit geben: ein tägliches "Fest der Völker", bei dem an jedem Nachmittag Jugendliche verschiedener Kontinente ihre Heimat mit ihrer Musik vorstellen.
Schlichte Gebetsversammlung an Rogers Todestag
Zu den Feiern werden als Reverenz auch hochrangige Vertreter zahlreicher christlicher Kirchen und anderer Religionen erwartet. Es wäre freilich ein Stilbruch für das stets unpompöse Taizé, wenn am Todestag von Frère Roger eine Art Festhochamt zelebriert würde. Die schlichte Gebetsversammlung mit den internationalen Würdenträgern und Tausenden Jugendlichen am Sonntagnachmittag soll, wenn eben möglich, unter freiem Himmel stattfinden.
Abseits des großen Protokolls sind diese Tage auch für die Brüdergemeinschaft eine besondere Zeit: Alle Mitglieder der kleinen Fraternitäten oder "Zweigstellen" weltweit kommen für die Festwoche nach Taize. Erstmals seit dem Ausgreifen in die Welt wären dann alle Taizé-Brüder gleichzeitig an einem Ort versammelt.
Ökumenische Ungeduld
"Ach, Taizé, dieser kleine Frühling!", seufzte einst der so ökumenisch gesinnte Konzilspapst Johannes XXIII. (1958-1963). Doch kann ein Frühling 50, 75 oder gar 100 Jahre dauern? Er soll es. Die Zahl der Pilger hat seit dem Tod von Frère Roger eher zu- als abgenommen. Manche sagen, Frère Alois habe eine größere ökumenische Ungeduld als sein Vorgänger; er dränge nach vorn und auf Ergebnisse. Doch wie vergleicht man den Grad an Ungeduld, wenn sich die Klimadaten in der Ökumene unterdessen nach unten verschoben haben, das Tauwetter wieder umzuschwenken droht?
Und schließlich die Jugend selbst: Zwischen den unruhigen Langhaarigen der 60er Jahre im noch festen Milieu; den "Children of the 80's" zwischen Helmut Kohl und Joan Baez; zwischen der postkommunistischen Wendejugend und den "Sozialen Netzwerkern" des 21. Jahrhunderts ohne institutionelle Bindungen gibt es grundlegende Unterschiede, nicht nur was ihre religiöse und politische Bodenkrume oder ihre Einstellungen zum Thema Sexualität angeht.
Offenheit und Vorläufigkeit zur eigenen Maxime zu erklären, kann für eine entstehende Gemeinschaft fruchtbar und weise sein. Hat man aber erst mal eine Geschichte, kann das auch zur Hypothek werden: sich an der Weggabelung zwischen Tradition und Innovation immer neu entscheiden zu müssen. Das haben einst auch die frühen Christen gespürt, als der auferstandene Herr Jesus nicht wie erwartet wiederkehrte. Ihr Ruf wird in Taizé bis heute gesungen: Maranatha - Komm, Herr!