In den dunkelsten Jahren Europas wollte er einen neuen Weg gehen. 1940 wählte er den Hügel von Taizé in Burgund, um auf neue Weise Gemeinschaft zu leben. Brüderlichkeit und Verbundenheit, zwischen den Generationen, Völkern, aber auch zwischen den Konfessionen. Die Communaute von Taizé wurde weltberühmt; sie kann in diesen Monaten auf 75 Jahre zurückblicken. Und ihr Gründer, der Schweizer Frère Roger Schutz, wäre am Dienstag 100 Jahre alt geworden.
Das Phänomen Frère Roger ist oft beschrieben worden. Als Sohn eines calvinistischen Pfarrers geboren im Schweizer Jura, ist er das neunte Kind der Familie. Ihn drängt zunächst wenig zur Religion. Roger ist dankbar, dass andere, etwa seine Großmutter Marie-Louise, so fest glauben können, dass es für ihn mit reicht. Und schon von Kindheitstagen ist ihm vom wortkargen Vater wie von der liebevollen Großmutter vertraut, dass Protestanten auch in einer katholischen Kirche beten und Gott erreichen können.
Tätige Nächstenliebe im Vertrauen auf Gott
Es ist eine Kindheit voller Musik, Klavier, voller Gespräche, Spaziergänge und großer Gastfreundschaft. Aber auch mit Krankheiten. Roger selbst erkrankt schwer an Tuberkulose und schwebt zeitweise zwischen Leben und Tod. Als Jahre später seine Lieblingsschwester Lily ebenfalls todkrank wird, sucht er intensiv die Nähe zu Gott - und erkennt erst in dieser tiefen Sehnsucht, dass er den Glauben bereits besitzt. Sein anschließendes Theologiestudium ist für ihn mehr Mittel als Freude. Tätige Nächstenliebe im Vertrauen auf Gott - das wird fortan seine Leidenschaft.
Im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) sucht der Schweizer einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können. Im Sommer 1940 findet er in der Nähe des einstigen Reformklosters Cluny das verfallene Weindorf Taizé. Einen heruntergekommenen, geistlich verwaisten Flecken. Nur ein paar Kilometer sind es von der Demarkationslinie zwischen dem nazibesetzten Frankreich und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich. Hier versteckt Roger jüdische und politische Flüchtlinge, gemeinsam mit seiner Schwester Genevieve. 1942 werden sie denunziert und müssen in die Schweiz zurückkehren.
Nach der Befreiung Frankreichs 1944 vollzieht sich, was ein Skandal und ein überraschender Welterfolg wird: Aus der evangelischen Brüdergemeinschaft von Taizé entwickelt sich die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte - und ein Magnet für viele Millionen Jugendliche aus aller Welt. Aus dem Menschen und dem Hügel und der Idee wird ein Fest, ein dauerndes christliches Fest. So ist Taizé für den Konzilspapst Johannes XXIII. (1958-1963) ein "kleiner Frühling" und Frère Roger ein Motor für die entstehende ökumenische Bewegung. Alle Päpste seither schätzen den Protestanten und suchen das Gespräch mit ihm.
Im Gespräch mit der Jugend
Zu den unumstößlichen Überzeugungen des Taizé-Gründers, dem Gastfreundschaft über alles geht und der sich Zeit für jeden Menschen in großen und kleinen Nöten nimmt, gehört die Befreiung von allem Ballast: kein Besitz, keine Rechtstitel und Privilegien, keine Archive und Bilanzen, keine Erstarrung oder Selbstzufriedenheit. Suchen, am besten im Gespräch mit der Jugend - immer neu den guten Weg suchen und dabei auf den vertrauen, dem diese Suche gilt: Gott.
Frère Roger wirkt auch nach außen, besucht Asien, Afrika, überwindet heimlich den Eisernen Vorhang. Er schreibt Briefe an die Jugend der Welt, selbst als er auf den Knien jenen Säugling hat, den ihm Mutter Teresa aus den Slums von Kalkutta 1976 als Patenkind anvertraut. Ein Organisationschaos beim Jugendtreffen? Der Zwang zu improvisieren, um für Zehntausende Essen zu beschaffen? Sehr gut - so muss es sein.
Frère Roger predigt und lebt sein Leben lang Freiheit und Gottvertrauen. Vielleicht auch deshalb gelingt die Fortsetzung des Abenteuers Taizé, nachdem sein Gründer im August 2005 einen so unsinnigen Tod stirbt. Der Friedenssucher und Friedensbringer Roger Schutz wird, 90-jährig, beim Abendgebet in der Kirche von Taizé inmitten von Brüdern und betenden Jugendlichen von einer verwirrten Frau erstochen. Die Gemeinschaft trägt ihn aus der Kirche, die Gemeinschaft setzt das Gebet fort - und die Suche nach ihrem Weg.