Familie wird mit vielen Hoffnungen überfrachtet

Fragiles Ideal

Die Familie gilt als Inbegriff von Sicherheit, Geborgenheit und Zusammenhalt. Doch heute ist diese Lebensform vielfältig - und oft von verschiedenen Widrigkeiten bedroht. Manchmal ist die Famile nämlich Schauplatz von Konflikten und Krisen.

Autor/in:
Karin Vorländer
Junge Familie mit Kindern / © Frank Leonhardt (dpa)
Junge Familie mit Kindern / © Frank Leonhardt ( dpa )

Die Scheidungs- und Trennungszahlen sind dramatisch hoch, auch die Zahl der Patchworkfamilien und Ein-Eltern-Familien steigt. Dennoch ist die Familie für die Mehrheit der Menschen bis heute der Ort, an dem sie das Glück zu finden hoffen.

Selbst bei der Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen steht sie hoch im Kurs. Ein Blick in die Shell-Jugendstudie von 2015 zeigt, dass rund zwei Drittel der Jugendlichen der Meinung sind, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können. Die Erwartungen an die Familie sind hoch: Geborgenheit, Zusammenhalt, Liebe, Harmonie und Glück soll sie bieten.

Für 64 Prozent der Jugendlichen gehören Kinder zum Familienglück dazu. Sie wollen selbst eine Familie gründen und schätzen an ihrer Herkunftsfamilie, dass sie ihnen Rückhalt und emotionale Unterstützung bietet. "Wenn's dir wirklich dreckig geht, ist die Familie da, egal was vorher war", so ein 18-Jähriger. Die Familie wird von jungen Leuten als sicherer Heimathafen empfunden.

Aber längst nicht alle finden tatsächlich in der Familie das ersehnte Glück. Die Familie als Bollwerk gegen Überforderung, Leistungsdruck, Einsamkeit und Isolation, als Ort der Gemeinschaft und der Geborgenheit erfüllt für viele nicht die hohen Erwartungen. Sie ist nicht der ersehnte Zufluchtsort, an dem man fest zusammenhält und der Unbill der Welt getrost trotzen kann. Allzu oft erweist sich der erträumte Schonraum in der Realität als Schlachtfeld: Viele Menschen erleben ihre Familie als Schauplatz von Konkurrenz, Konflikten und Krisen, im schlimmsten Fall als Ort der Gewalt, des Missbrauchs und der Misshandlung.

Risiko Alltagstrott

In weniger dramatischen Fällen verglüht der Traum vom Familienglück in einer als unerträglich empfundenen Nähe. Oder er zerplatzt lautlos zwischen Alltagstrott und zermürbenden Auseinandersetzungen um Alltägliches. Was, wenn die ersehnten Kinder oder Enkelkinder sich nicht einstellen? Wenn die heranwachsenden Kinder Sorgenkinder sind, die nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen? Was, wenn der Schwiegersohn oder die Schwiegertochter "einfach nicht in unsere Familie passt"? Was, wenn sich zeigt, dass die Vorstellungen, die jeder aus seiner Herkunftsfamilie mitgebracht hat, zu verschieden sind, als dass das Glück von Dauer sein könnte?

Anders als in Zeiten, in denen die Familie und Großfamilie in erster Linie ein soziales und finanzielles Sicherungssystem darstellte, ohne das vor allem die Frauen nicht leben konnten, halten Partner heute nicht mehr an einer Ehe und Familie fest, die ihnen nicht das ersehnte Glück bietet.

Allein im vergangenen Jahrzehnt war gut eine Million minderjähriger Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen und musste sich in neue Konstellationen einfügen. Oft bindet sich der Elternteil wieder, bei dem die Kinder ständig leben, Halbgeschwister werden geboren, oder der Stief-Elternteil bringt seinerseits eigene Kinder mit. Das überschaubare System Familie nach dem Muster: Vater, Mutter, Kind wird zum komplexen Beziehungsknäuel. Sehr oft werden familiäre Fäden auch ganz durchgeschnitten. Der Kontakt bricht ab - aus der Traum vom Familienglück.

Früher war auch nicht alles besser

Waren aber die Menschen früher in ihren Familien glücklicher? Beim genauen Hinsehen erweist sich dieser Blick zurück als Sackgasse.

Abgesehen von einer kurzen Periode am Ende des 19. Jahrhunderts, gab es die gerne genannte Großfamilie mit drei Generationen und vielen Kindern unter einem Dach nämlich gar nicht: "Der fiktiven Großfamilie fehlte wegen hoher Kindersterblichkeit und viel niedrigerer Lebenserwartung schlicht die Besetzung. Die Familie war nicht der Ort, an dem man sicher alt werden konnte. Es wechselten in rascher Folge die Mitglieder.

Man musste flexibel sein und sich im engsten Zusammenleben schnell und oft auf neue Mitbewohner einstellen. Halb- oder Stiefgeschwister, Stiefmutter oder Stiefvater zu haben war die Regel, nicht die Ausnahme. Der Tod riss über fast eineinhalb Jahrtausende mehr Familien auseinander als alle Scheidungen im 20. Jahrhundert. Die Bereitschaft zum Kompromiss und zur Einübung in neue Beziehungen musste sehr viel größer sein als heute", so bringt es die Historikerin und Soziologin Barbara Beuys auf den Punkt.

Heute gilt es, die Vielfalt der neuen Lebensformen wahrzunehmen, die sich durch Scheidung und Wiederheirat oder durch andere Lebensgemeinschaften gebildet haben. Dabei steht fest: Ehe und Familie im Sinne des Zusammenlebens von verheirateten Eltern mit Kindern sind noch immer das bevorzugte Lebensmuster der meisten Menschen.


Quelle:
KNA