"Wolfram ist jüdischen Ursprungs" - diese wissenschaftliche Hypothese zum berühmten Leuchter aus dem Erfurter Mariendom sorgte im Mai für einigen Wirbel. Die lebensgroße Figur gilt als älteste freistehende Bronzeskulptur eines Menschen, die aus dem hochmittelalterlichen Europa erhalten war. Ihre Herkunft und Verwendung ist jedoch unbekannt. Unversehens wähnten einige in der Hypothese bereits Gewissheit und brachen eine Kontroverse über eine Rückgabe an die Jüdische Landesgemeinde vom Zaun.
Strahlendiagnostische Analyse erbrachte Beweis
Diese Diskussion dürfte jetzt vom Tisch sein: Eine strahlendiagnostische Analyse erbrachte den Beweis, dass die Figur nicht jüdischen Ursprungs ist, da die eindeutig christliche Inschrift zusammen mit der Figur in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gegossen und nicht nachträglich angebracht wurde, wie es hieß. Der Restaurator und Professor der Erfurter Fachhochschule, Bernhard Mai, präsentierte die neue Erkenntnis am Donnerstag auf einer nichtöffentlichen Fachtagung in Erfurt. Zugleich tauchten dabei eine Reihe weiterer Fragen zum "Wolfram" auf.
Geplatzt ist jedoch eben jene Hypothese, die eine Forschergruppe um den Religionswissenschaftler Jörg Rüpke vom Erfurter Max-Weber-Kolleg aufgestellt hatte. Sie mutmaßten, dass der "Wolfram" eigentlich den biblischen Hohepriester Aaron darstelle und als Thora-Halter in der Erfurter Synagoge gedient haben könne.
In ihrem Beitrag für die "Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte" (Potsdam) vertraten Rüpke sowie der Theologe Dietmar Mieth und die Philosophin Julie Casteigt die Hypothese, die Statue sei in Zusammenhang mit dem Judenpogrom von 1349 "in christlichen, vielleicht zunächst städtischen Besitz und später in den Erfurter Mariendom gelangt - sei es zur Erhaltung, sei es als Plünderungsgut".
Domkapitel erfreut über Ergebnis
Das Erfurter Domkapitel zeigte sich am Freitag naturgemäß erfreut über das klärende Ergebnis der von ihm in Auftrag gegebenen Materialuntersuchung. Die Bronzestatue sei, "wie wir spätestens jetzt wissen, im Erfurter Mariendom am rechten Ort", sagte der Dompropst, Weihbischof Reinhard Hauke. Und auch Rüpke kann auf Nachfrage dem Ganzen etwas Gutes abgewinnen: "Die Hypothese hat sich insofern ausgezahlt, als dadurch wieder diverse neue Forschungen in Gang gekommen sind und die Tagung gezeigt hat, wie viele andere Fragen zu dieser Figur noch offen sind."
Etwa die Frage: Wer war eigentlich jener Wolfram, dessen Name auf der Bronzeskulptur steht? Vollständig lautet die Inschrift übersetzt: "Wolfram: Bitte für uns, heilige Gottesgebärerin, Hiltiburc: dass wir würdig werden der Gnade Gottes!" Es ist also quasi ein christlicher Fürbitt-Dialog. Für die Kunsthistorikerin Annette Weber von der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg ist eine derart christlich konnotierte Figur als Tora-Träger einer mittelalterlichen Synagoge undenkbar, wie sie auf der Tagung ausführte.
Figur keine Selbstdarstellung
Große Einigkeit herrschte laut Rüpke unter den Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen darüber, dass die Figur keine Selbstdarstellung eines etwaigen Stifters namens Wolfram darstelle. Ungeklärt ist auch die Funktion, die der 290 Kilo schwere Koloss mit seinen ausgebreiteten Armen, in jeder Hand einen Kerzenteller, hatte.
Der katholische Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann, ebenfalls Tagungsteilnehmer, erläuterte: "Es gibt eine Reihe von historischen Dokumenten des Mariendoms, die belegen, dass es im 12. Jahrhundert dort einen großen Leuchter gab und der bei festlichen Liturgien umschritten wurde." Er habe vermutlich zeitweise im Hochchor gestanden. Ob das aber der sogenannte Wolfram-Leuchter war - das sei nach wie vor unklar.
"Das Thema, wie Christen und Juden im mittelalterlichen Erfurt eng beisammen lebten und sich vielleicht auch in der religiösen Praxis gegenseitig beeinflussten, bleibt weiter ein spannendes Forschungsfeld", so Kranemann. "Aber die Tagung hat deutlich zutage gebracht: Das lässt sich nicht mit dem Wolfram verknüpfen."